Am Mittwoch sollte in Nürnberg ein Berufsschüler mit afghanischer Herkunft aus dem Unterricht heraus abgeschoben werden. Seine Mitschüler versuchten die Polizei an der Abschiebung zu hindern.
Polizeigewalt zum Jahrestag
Heute genau auf den Tag sich es 50 Jahre her, dass in Berlin bei einer Demonstration der Benno Ohnesorg erschossen wurde. Genau gesagt ermordet, hingerichtet durch einen gezielten Kopfschuss. Massive Polizeigewalt begleitet bereits vorher die Proteste gegen den Besuch des Schahs von Persien in Deutschland. Die Tat selber blieb ungesühnt. Man könnte meine, aus der Geschichte zu lernen. Zumindest hofft man, 50 Jahre später eine andere Polizei in Deutschland zu haben. Eine Polizei, die nicht die Kriegsheimkehreren und anderen vorbelasteten Personen besteht. Eine Polizei, die situationsbedingt angemessen reagiert. In Nürnberg vorgestern fehlte die notwendige Portion Fingerspitzengefühl ganz offensichtlich. Aber, wie sagte bereite Max Streibl 1992: es sei eben „bayerische Art“, „etwas härter hinzulangen“. Selbst wenn es sich um harmlose Berufsschüler handelt.
Afghanistan als sicheres Land
Meinem Verständnis nach ist Afghanistan nach wie vor kein sicheres Herkunftsland. Ist kein Land, in dem man einen 20-jährigen (manche Quellen sprechen auch von einem 21-jährigen) Berufsschüler einfach abschieben kann. Nach wie vor prägen Terror und Gewalt das Land, welches jahrzehntelang Spielball der Interesse von anderen Staaten gewesen ist. Wie gefährlich Afghanistan ist, zeigte auch der schwere Terroranschlag in Kabul diese Woche. Mindestens 90 Menschen verloren dabei ihr Leben, weitere 400 wurde zum Teil schwer verletzt, als ein Tanklaster unweit der deutschen Botschaft zur Explosion gebracht wurde.
Nach wie vor ist das Land geprägt durch die Taliban, Warlords und ganz „normale“ gewalttätige Kriminelle. Afghanistan ist ein Dauerthema, selbst hier im Blog.
Berufsschüler gegen Abschiebung
In so ein Land sollte der 20-jähriger Flüchtling abgeschoben werden. Es wird beständig vom Willen zur Integration gesprochen. Der junge Afghane hatte Deutsch gelernt, soziale Kontakte geknüpft und Aussicht auf einen Ausbildungsplatz. Straffällig ist er ganz offensichtlich auch nicht, sein einziges Vergehen besteht in seiner Herkunft. Geboren im falschen Land.
Als Bürgerin oder Bürger dieses Landes kann man sich im üblichen Wegsehen üben. Oder aber man leistet Widerstand. Genau das haben die Berufsschüler in Nürnberg getan. Sie wollten verhindern, dass ihr Mitschüler in ein Kriegsgebiet abgeschoben wird. Olaf Przybilla schrieb heute in der Süddeutsche Zeitung dazu:
Diese jungen Menschen haben so gehandelt, wie jemand handelt, der sich als Mensch ernst nehmen will.
Anders sah es bei den Einsatzkräften der Polizei vor Ort aus.
Unterschiedliche Darstellungen
Selbstverständlich kann und darf man nicht alles Polizisten über einen Kam scheren. Zu berücksichtigen ist auch hier, dass sie an Anweisungen gebunden sind. In diesem Fall lautete sie, den Afghanen der Abschiebung zu zuführen. Das dieser nicht in seiner Unterkunft friedlich darauf gewartet hat, sondern zur Schule ging, ist wohl verständlich. Unverständlich dagegen ist, wie der Einsatz dann ablief. Grundsätzlich hat jeder Polizist ein Gewissen. Sich hinter Befehlen zu verstecken, so was hatten wir oft genug in Deutschland.
Schwierig für alle, die nicht unmittelbar dabei gewesen sind, ist die Beurteilung des Ablaufs. Wer hat zuerst Gewalt angewendet? Es gibt unterschiedliche Darstellungen, so auch die Sicht von Theresa, eine der Schülerinnen und Schüler, die gegen die Abschiebung protestierten. Der Augenzeuge Jörg Weißgerber sagte gegenüber dem SPIEGEL, die Gewalt sei eindeutig von der Polizei ausgegangen.
Ob die Berufsschüler angefangen haben oder nicht, es gibt immer einer angemessen und eine unangemessene Art der Reaktion.
Wie es weiter geht
Die Abschiebung des afghanischen Berufsschülers ist in jedem Fall erstmal ausgesetzt worden. Auch die Abschiebehaft bleibt dem jungen Mann erspart. Denkbar ist derzeit lediglich eine „geförderte freiwillige Rückkehr“ — zynischer kann Beamtendeutsch nicht mehr sein. Gestern Abend demonstrierten in München mehrere Hundert Menschen gegen die bayrische Abschiebepraxis und das Vorgehen der Polizei. Selbst Menschen, die der regierenden CSU ansonsten nahestehe. Möglicherweise Menschen, die noch an das C im Parteinamen glaubt hatten.