Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Das wir Menschen Tiere nicht nur essen, sondern auch allerhand andere Sachen mit ihnen anstellen können, dürfte vielen von uns bewusst sein. Trotzdem dachte ich beim Titel der Veranstaltung für einen kurzen Moment an wundervollen Spielen bis mir wieder klar wurde, dass die Autorin Eva Menasse keine Kochbücher schreibt. Tiere sind in ihrem jüngsten Buch dennoch eine wichtige Zutat. Eine der vielen von ihr gesammelte Tiergeschichten dient jeweils als Aufhänger für die nachfolgende Erzählung, in der es dann um Menschen geht.

Ein Fazit vorweg

Für meine Frau und ich war es gestern die dritte und letzte Veranstaltung der lit.cologne in diesem Jahr, die wir besuchten. Guten Gewissens kann ich schon an dieser Stelle mein Fazit vorweg nehmen. Der Abend hat sich mehr als gelohnt, was mir persönlich bei dieser Autorin auch schon von vorneherein klar war. Zum ersten Mal erlebten wir sie auf einer Veranstaltung der lit.cologne vor vier Jahren, in einem Werkstattgespräch. Ihren damaligen Roman, um den sich auch einen Teil des Gesprächs drehte, Quasikristalle, halte ich nach wie vor für ein verdammt gute Schullektüre.

Tiere im Zoo

strichpunkt / Pixabay

Das meine Frau und ich dennoch vor der Veranstaltung skeptisch waren, lag an Uhrzeit und Ort. Die Kulturkirche Köln ist für uns quasi ein Heimspiel, etwa fünf Minuten von der autofreien Siedlung entfernt. Wenn man dann bis kurz vor der Veranstaltung gemütlich auf dem heimischen Sofa sitzt, es draußen regnet und die Uhrzeiger langsam Richtung 21 Uhr bewegen, mag man eigentlich nicht mehr raus gehen. Wir taten es trotzdem und wurden mehr als entschädigt für die miese Lesung vom Freitag.

Tiere und andere Ereignisse

Andreas Lebert moderierte die Lesung. Moderation im Sinne von „gelungen durch den Abend führen“ und nicht wie andere, die der Autorin oder dem Autor die Pointen stehlen. ein guter Moderator sollte die Bälle zuwerfen und nicht die Körbe machen und den Beifall einheimsen. In diesem Sinne ist Andreas Lebert ein hervorragender Moderator.
Die kuriosen Tiermeldungen, liebevoll von Eva Menasse gesammelt, bildeten immer den Aufhänger für die jeweilige Erzählung — es dürfte beim selber lesen wohl auch spannend sein, den Bezug zur Geschichte zu entdecken.
Im ersten gelesenen Abschnitt ging es um einen alten Mann, der sich um seine demenzkranke Frau kümmert. Menasse der Sprache eine ganz eigene Melodie zu entlocken. Sofort hat man den Mann vor Augen. Nicht nur das, man ist selber mitten in der Wohnung, hört förmlich wie er atmet. Er weckt seine Frau, nur damit sie trotz ihrer Krankheit die Fenster putzt. Was dann mehr oder weniger aus passiert, weil sie sich trotz ihrer Demenz erinnert, während der Rest ihrer Vergangenheit bereits ausgelöscht ist. Aber nicht nur ihre Vergangenheit verschwindet, sondern auch die ihres Mannes, der seine Rolle als Despot verliert. Seine Frau kann sich einfach nicht mehr dran erinnern, dass sie ihm immer gehorcht hat. So wird die Demenz zum stillen Aufbegehren.

Enten schlafen nur halb

Als Biologin wusste meine Frau selbstverständlich von der Fähigkeit, welche Enten besitzen. Sie können mir nur einem geschlossenen Auge schlafen, es erholt sich dann entsprechend eine Gehirnhälfte. Mehrmals in der Nacht wechseln sich Augen und Gehirnhälften ab. Ein wirklich erstaunliches Tier.

Erstaunlich auch die Geschichte, welches das Publikum in zwei Teilen vorgelesen bekam. Eine Familie auf dem Weg in den Urlaub nach Italien. Die Handlung ließe sich so kompakt zusammenfassen, birgt aber unendlich viel Komplikationen und Schichten in sich. Von der Frau, aus deren Perspektive wir die Fahrt erleben. Gefangen in ihren Ängsten. Abgelöst durch ein Navigationsgerät, dem ihr Mann mehr traut als ihr, die früher immer die Karten gelesen hatte. Ihr etwas aufmüpfiger Sohn, den man in verschiedenen Entwicklungsstadien kennenlernt. Talentiert fließen hier verschieden Zeiten ineinander, ohne merkwürdig zu wirken.

Tragischer Tot der Haie

Haie, die in Folge eines Brandes im Zoo in ihrem Becken erstickten waren der Aufhänger für die dritte Erzählung. Der erste Schultag, wieder eine Kleinfamilie. Die etwas schüchterne Tochter, der resolute Vater und die Mutter, beobachtend und ertragend. Der Tag verläuft ohne die Begleitung durch Verwandte. Sie wohnen entweder zu weit weg, man hat sich mit ihnen zerstritten oder es wären zu viele, als das es für den Anlass noch angemessen wäre.
Der Vater eskaliert, als die Familie nach dem Schulbesuch essen gehen will, ohne jedoch reserviert zu haben. Mann legt sich mit dem Personal an, weisst aber die Hilfe eines ausländischen Mitbürgers und ebenfalls Vaters eines frisch eingeschulten Kindes rüde ab. Die passive Mutter ist peinlich berührt, als sich der hilfsbereite Mitbürger als Besitzer des Restaurants herausstellt.

Was gute Literatur vermag

Eva Menasse serviert Brühwürfel. Konzentrierte Geschichte, die so sehr aus dem Alltag gegriffen wirken, dass man selber eine schmerzliche Nähe zu den Figuren empfindet. Es kommt einem merkwürdig vertraut vor. Hier wird nicht versucht, ein anders Medium zu imitieren. Auch das ist die große Stärke der Erzählungen, die zeigen, zu was gute Literatur fähig ist. Sie muss sich nicht um die große Dinge drehen, der Alltag bietet genügend Stoff für Dramen. Tiere für Fortgeschrittene landet bei mir zu Hause ganz oben auf dem Lesestapel.

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