Eigentlich mag ich die „Außenansichten“ in der Süddeutsche Zeitung. Häufiger bekommt man einen Denkanstoß, lernte einen anderen Blickwinkel kennen, der den eigenen Horizont erweitert. Gelegentlich gibt es aber auch Meinungen, denen ich nicht zustimme. Trotzdem kann ich sie als andere Meinung stehen lassen.
Ganz anders als die Außenansicht heute von Anke Hassel zum Thema „Bedingungsloses Grundeinkommen“. Schon den Titel ihres Artikels „Süßes Gift“ empfand ich als provokativ. Hassel spricht sich darin gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen aus, weil es ihrer Meinung nach die Menschen lähme statt sie zu aktivieren. Es fehle der Druck zur Arbeitsaufnahme. Dabei zieht sie auch Parallelen zu Hartz IV, das für bestimmten Bevölkerungsgruppen bereits zur Lebensperspektive geworden sei. Hassel spricht hier unter anderem von „der bereits bei der Bildung benachteiligten Hälfte der Gesellschaft“. Hälfte? Sind das schon so viele? Genau so eigenartig ist die These, dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen den sozialen Aufstieg noch schwerer machen würde, weil sich die Menschen bequem (wörtlich schreibt Hassel das jedoch nicht, auch wenn es zwischen den Zeilen steht) in ihrer Arbeitslosigkeit eingerichtet haben.
Problematisch ist hier die Herleitung von Ist-Zustand Harz IV — zu wenig zum Leben, aber zu viel zum Sterben. Es ist nicht die Unterstützung welche die Menschen lähmt, sondern die fehlenden Perspektiven. Und die fehlen, unabhängig ob man Harz IV oder ein Bedingungsloses Grundeinkommen bekommt.
Hassel vernachlässigt zudem, dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen genau dem Klientel, welches sie zu kennen vorgibt, etwas zurückgibt, was Harz IV ihnen verweigert: Würde
Gerade dadurch, dass das Bedingungslose Grundeinkommen eben bedingungslos gezahlt wird, ist niemand mehr Bittsteller.
Frau Hassen arbeitet für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung. Möglich, dass hier eventuell ein Interessenkonflikt vorliegt. Gewerkschaften vertreten Arbeiter, nicht Arbeitslose. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde vielleicht sogar zur Existenzfrage für die Gewerkschaften führen. Historisch gesehen waren Gewerkschaften zudem nie Freunde von Transferleistungen, die den Verdacht erweckten, das bestehende System zu stützen. Aus diesem Grund wurde von ihnen Ende des 19. Jahrhunderts die Einführung einer allgemeinen Arbeitslosenversicherung abgelehnt. Zu den weiteren Gründen gehört das, was 2010 als Idee in das Lohnabstandsgebot einfloss.
Angst hatte man lange Zeit in den Gewerkschaften auch vor Arbeitslosen, die als Streikbrecher eingesetzt wurden — leider aber auch zu Recht.
Zurück aber zum Kern. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde meiner Meinung nach die Gesellschaft nicht weiter spalten, so wie Hassel es vermutet. Gespalten ist die Gesellschaft bereits jetzt. Eine Ablehnung des Bedingungslosen Grundeinkommens ist zudem keine Antwort auf die Frage, wie sich eine Gesellschaft, in der die Arbeit zunehmend verschwindet, neu organisiert. Wenn die Arbeitsplätze weniger werden, müssen über anderen Formen von Tätigkeiten und Ausgleich nachgedacht werden — auch um die Gesellschaft davor zu bewahren, auseinander zu brechen.
Frau Hassel unterliegt dem Fehler, Menschen über ihre Arbeit zu definieren. Ein Arbeitsplatz kann sicherlich auch eine Möglichkeit sein, Einwanderer zu integrieren, keine Frage. Aber als Gesellschaft müssen wir uns von der Fixierung auf die Erwerbstätigkeit lösen.
Zudem, und das ärgert mich am meisten, stehen die Thesen von Anke Hassel im leeren Raum. Welche Auswirkungen ein Bedingungsloses Grundeinkommen hat, darüber kann nur spekuliert werden. Genaue Aussagen lassen sich nur dann treffen, wenn man so etwas im begrenzten Rahmen einfach ausprobiert. Finnland ist hier schon weiter als Deutschland. Lesen konnte man das am Samstag ebenfalls in der Süddeutsche Zeitung. Dort erhalten 2000 arbeitslose Menschen für zwei Jahre ein bedingungsloses Grundeinkommen. Juha Järvinen, einer davon, wirkte in dem Artikel „Wie Finnland eine soziale Revolution ausprobiert“ nicht wie jemand, der sich in seiner Arbeitslosigkeit bequem eingerichtet hat.
3 Kommentare
Ich wette Frau Hassel hat niemals selbst Hartz4 bezogen, sonst würde sie nicht so einen Dummfug über die Verhaltensweisen von Hartz 4 Empfängern sagen. Ich behaupte: würden der Bewerbungszwang, die Nonsense-Maßnahmen und der Psychodruck des Jobcenters wegfallen, würden sich 80% der Menschen irgendwann Jobs oder Ehrenamtstätigkeiten suchen. Letzteres machen sowieso schon viele „arbeitsunfähige“ Leute.
Genau so sehe ich das auch. Und gerade durch ehrenamtliche Tätigkeiten (die dann durch das Bedingungsloses Grundeinkommen quasi auch honoriert werden) würde die Gesellschaft insgesamt profitieren.