Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Im Jahr 1974 erschien bei Avalon Hill das Spiel „Rise and Decline of the Third Reich“. Ein Wargame aus der Kategorie „grand strategic“. Grand Strategic bezogen auf den Maßstab, die Berücksichtigung verschiedener Nationen und deren zur Verfügung stehenden Ressourcen, die wichtige Element des Spiels sind. Auch entscheidend ist hier die abgebildete Zeitspanne. Statt um Stunden oder Tage geht es um Jahre als Einheit für die Runden.

Alles das sind aber bereits viel zu viele Details, die nur deshalb am Anfang des Textes stehen, weil ich für eine Buchrezension diesmal ganz bewusst den Titel des Buches nicht als Überschrift nehmen wollte — es hätte zu Missverständnissen führen können. Missverständnis, die sich wahrscheinlich auch im weiteren Verlauf dieses Artikels nicht vermeiden lassen.

© Hanser Verlag / Verlagscover

Wie dem auch sei, es geht um dem Roman „Das Dritte Reich“ von Roberto Bolaño, eines der Bücher die ich zum Geburtstag geschenkt bekam. Nicht zufällig, sondern weil es sich schon seit längerer Zeit auf meiner Wunschliste befand. Aus mehreren Gründen. Zum einen weil ich etwas von Bolaño lesen wollte und zum anderen, weil mich das Setting des Romans interessierte.

Kurz zum Inhalt, wie der Hanser-Verlag ihn angibt:

Udo Berger hat nur eine Leidenschaft: Kriegsspiele. Selbst im Urlaub an der Costa Brava verbringt er die meiste Zeit mit dem Strategiespiel „Das Dritte Reich“, einer Simulation des Zweiten Weltkriegs. Eines Abends lernt Udo den mysteriösen „Verbrannten“ kennen, ein angeblich durch Folter verunstalteter Lateinamerikaner, von dem er sofort fasziniert ist. Im „Dritten Reich“ soll dieser den Part der Alliierten übernehmen und den Lauf der Geschichte ändern.

Schon nach den ersten Seiten im Buch wird einem als Leser deutlich, was man hie vor sich hat: Literatur. Literatur, die leicht lesbar daher kommt, bei der es aber eine Wonne ist, sich in die tieferen Schichten zu begeben. Bei Amazon fand ich eine Rezession von Ralf Raths, die es gut auf den Punkt bringt. Der Roman von Bolaño weckt die Lust, innezuhalten und sich mit Interpretationsmöglichkeiten auseinanderzusetzen. Jene Lust, die sowohl bei Raths als auch bei mir der Deutsch-LK verdorben hat.

Man kann den Roman aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Als Tagebuch eines jungen Erwachsenen (Udo, die Hauptfigur ist 25), welche noch in der Pubertät fest zu stecken scheint. Als Beobachtung des Massentourismus in Spanien, inklusive Kritik an dem Verhalten der Urlauber. Auch als Bericht über den Verlauf einer Partei „Das Dritte Reich“. Oder auch als Suche nach dem Kern des Bösen. Zudem ließe sich das Tagebuch des Udo Berger als Bericht der Heilung von seiner Spielsucht lesen.

Schließlich ist der Roman auch der Spiegel von Beziehung. Der Beziehung von Udo zu seiner Freundin Ingeborg, die seinem Hobby nichts abgewinnen kann und von der er sich zunehmen entfernt. Der Beziehung zu der Urlaubsbekanntschaft Charly und Hanna sowie der merkwürdigen Freundschaft mit zwei Spaniern.

Udo, die Hauptfigur, treibt wie in einem Strudel immer weiter nach unten. Jeder weitere Tag, den er länger im Hotel bleibt, legt sich wie ein weiterer dunkler Schatten über sein Leben, welches auf einen bestimmten Punkt steuert. Erst langsam scheint Udo im Verlauf des Buches zu ahnen, was ihn erwartet. Sein Versuche, mit der Frau des Hotelbesitzers anzubändeln erscheinen genauso wie der Griff nach dem Zimmermädchen als Ersatz wie verzweifelte Versuche, doch noch eine andere Richtung einzuschlagen. Letztendlich beliebt Udo aber im Spiel gefangen und wird die Partie mit seinem Gegner, dem „Verbrannten“ bis zum bitteren Ende spielen.

Beim lesen des Buches stellt sich öfter die Frage, wo Udo politisch steht. Ist er ein Nazi, ein Herrenmensch, jemand der das Dritte Reich verherrlicht? Nur ein Harmloser Bewunderer der Militärstrategien? Oder eben jemand, der seiner Spielsucht verfallen ist und ihr alles unterordnet? Vermutlich ist er alles und nichts. Auf mich wirkt er phasenweise wie ein unbeschriebenes Blatt — wie jemand, dem noch genau eine Erfahrung fehlt, um erwachsen zu werden.

Mit „Das Dritte Reich“ hat Roberto Bolaño geschrieben, einen Roman der erst nach seinem Tod veröffentlicht wurde, obwohl er zu seinen frühen Werken gehörte. Was wiederum die Frage aufwirft, ob der Autor möglicherweise gar nicht wollte, dass dieser Roman veröffentlicht wird.

Was man dem Buch in jedem Fall anmerkt, ist die tiefe Kenntnis die Roberto Bolaño über das zugrundeliegende Spiel „Rise and Decline of the Third Reich“ besitzt. Bolaño war, so ist zu lesen, intimer Kenner und leidenschaftlicher Spieler solcher wargames. Als Schriftsteller hat wohl auch dran fasziniert, dass man damit auch der Frage „Was wäre, wenn?“ nachgehen kann.

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