Während ich nach dem Amoklauf in München noch meine Gedanken sortiere, stolpere ich bei Facebook über einen Eintrag, beidem ich Brechreiz bekomme. Es wohl wenige andere Möglichkeiten, die Opfer härter zu verhöhnen und die Trauer der Angehörigen zu verstärken als die Relativierung.
Es heisst, beim Essen zu ersticken ist deutlich wahrscheinlicher, als bei einem Terror-Anschlag zu sterben. Soll das ein Trost sein? Schau mal Opfer, dir wurde eine besondere Ehre zuteil, du bist nicht erstickt. Nein, ich finde das daneben. Solche Statistiken gehören sich nicht. Auch haben 9 Opfer eines Anschlages genau so viel Gewicht wie 100 oder 1000. Jedes Menschenleben ist einmalig, jedes gewaltsam beendet ist eins zu viel.
Natürlich gibt es beispielsweise mehr Verletzte und Verkehrstote in München in einem Jahr als diejenigen, welche gestern Abend Opfer eines vermutlich 18-jährigen Deutsch-Iraners wurde. Nur gibt es definitiv auch einen falschen Zeitpunkt, so was zu äußern.
Ja, wir haben uns dann die Menschen gewöhnt, die auf dem Alter der absoluten Mobilität jährlich ihr Leben lassen müssen. Der Preis unserer Freiheit, so zusagen. Und nein, Terroranschläge und Amokläufe gehören nicht zu unserer alltäglichen Erfahrung. Sie sind es auch, gegen die keine Form der Prävention hilft. Wenn x Menschen bei Autounfällen ums Leben kommen, weil sie nicht angeschnallt waren im Auto, kann ich vorbeugen dazu zu gehören, in dem ich mich anschnallen. Ich kann jedoch nicht tun, um zu verhindern das ich von einem Amokläufer erschossen werde.
Menschen ernst zu nehmen bedeutet auch, ihre Ängste ernst zu nehmen. Das beste Mittel dabei ist nicht der Versuch, rationale Erklärungsmuster zu bieten, sondern ein Taschentuch für die Tränen und eine herzliche Umarmung. Nicht wenige Menschen in München haben das verstanden und gehandelt. Sie öffneten ihre Türen für diejenigen, die auf Flucht waren und nicht mehr wussten, wie sie angesichts eines völlig zum Erliegen gekommenen öffentlichen Nahverkehrs nach Hausen kommen sollten. Solidarität unter den Hashtags #opendoor und #offenetuer.
Ja, die Situation in München war chaotisch, die Nachrichtenlage unklar. Insbesondere in den sozialen Netzwerken vermischten sich wenige Fakten und viel Gerüchten. Aus einem Täter wurden mehrere, Videos und Bilder wurden gepostet und ließen die Angst zu Hysterie anschwellen. Hilfreich für die Einsatzkräfte vor Ort war das nicht. Für Journalisten ist in solcher Situation immer eine Gratwanderung bei der Berichterstattung. Was zeigt man, was hält man zurück, um den(m) Täter(n) keinen Vorteil zu verschaffen? Insbesondere: Was wird nicht gesendet, weil es die Tat stilisiert, sie inszeniert und damit dem Täter in seiner Absicht in die Hände spielt?
Ich für meinen Teil bin froh, wenn ich gefilterte und analysierte Information bekommen, wenn Profis wie bei der Süddeutsche Zeitung, die wie kaum eine andere Zeitung nah dran am Geschehen war, ihre Arbeit machen. Es ist auch wichtig, zeitnah erste Informationen zu bekommen. Hier wurden von der SZ und anderen Medien die sozialen Medien gut bedient, auch die Webseiten der großen Pressehäuser liefert Berichterstattung im ruhigen Ton. Das gehört dazu, ruhig zu bleiben, nicht in Marktschreierei zu verfallen im buhlen um Aufmerksamkeit.
„Was tun, wenn’s brennt?“ fragte in der Süddeutsche Zeitung von heute Klaus Kleber in einem Artikel, der noch vor der Schießerei in München geschrieben wurde. Lesenswert, weil es genau dem die Frage geht, was seriöse Berichterstattung ausmacht — und warum es nicht immer ein Vorteil ist, alles sofort live zu senden.