Mensch sein bedeutet, Fehler zu machen. Sie teilweise (tödliche und moralische verwerfliche zählen hier nicht) auch machen zu dürfen, solange man zu ihnen steht. Und so lange man Gelegenheit hat, aus ihnen zu lernen.
Selbstverständlich gehört es auch dazu, im Rahmen dieser Parameter eine Meinung, welche man mal hatte, radikal zu überdenken. Am zurückliegenden Wochenende feierte ein ehemaliger Mitstudent seinen Geburtstag. An der Uni waren wir beiden in einem Seminar, bei dem es um HTML ging. Die ersten Schritte in das WWW, mit so rudimentären Möglichkeiten, dass man sich das heute nur schwer vorstellen kann (oder man nutzt die WayBack Machine). Was waren wir stolz auf blinkende Fledermäuse oder die ersten Frames, mit die Kopfzeile immer oben und die Navigation stets am Rand blieb, egal wie lang der Inhalt im rechten Frame war — das bekommt man heute vollständig ohne Frames hin, zum Glück.
Nicht nur stolz waren wir, sondern hatten auch das Gefühl, zu einem kleinen Kreis der Zauberlehrlinge zu gehören. Später führte genau dieses Gefühl bei mir dazu, auf jeden herab zu sehen, der HTML nicht von der Pike auf gelernt hatte. Einen Baukasten zum Beispiel von Data Becker zu nutzen, galt als Sakrileg.
An dieser Stelle kommt, ebenfalls vom zurückliegenden Wochenende, ein Artikel der t3n ins Spiel. „Homepage-Baukasten oder selbst coden? 13 Vor- und Nachteile“. Die Argumente dort kenne ich schon seit etwas mehr als 20 Jahren. Schade ist im Übrigen, dass Jessy Kösterke sie zwar aufführt, aber nicht gewichtet, denn gleich das erste Pro-Argument für die Baukästen halte ich persönlich für das Wichtigste: Für jedermann.
Warum ist es so wichtig? Weil es die Bereiche Mitgestaltung und Demokratie geht. Je niedrige die technische Hürde ist, desto eher wird man selber aktiv. Teilt sich mit. Es mag nur mein Eindruck sein (etwas gespeist durch die Arbeit in einer Internetagentur und aufmerksames Lesens des einen oder anderen Fachartikels), dass die Jüngeren eher in den sozialen Netzwerken aktiv sind als sich wie wir damals an der Uni, eine Homepage (womit auch immer) basteln. Elitäre Standpunkte (wie den, welchen ich selber mal vertrat) begünstigen so eine Entwicklung. Eine Seite bei Facebook anzulegen ist vergleichsweise einfacher als die eigene Homepage – oder?
Falsch, denn auch bei einer Facebook-Seite muss man sich mit einigen Dingen auseinandersetzen. Ja, man muss nicht selber „coden“. Was man aber auch nicht muss, wenn man in wenigen Klicks einen Blog bei WordPress.com erstellt. Das zugrunde liegen System geht weit über eine „Hobby-Website“ hinaus (wo Kösterke den Schwerpunkt für die Baukästen sieht), ohne kompliziert zu sein. WordPress lässt sich auch mit steigenden Ansprüche nutzen. Über den Punkt SEO brauchen wir garnicht zu reden, denn es gibt einen Grund, warum WordPress gerade in diesem Bereich sehr intensiv eingesetzt wird. Originell Designs gibt es auch — bei dem riesigen Angebot an Templates ist für jeden etwas dabei.
Wer dann etwas mehr möchte, kann immer noch einen Schritt weiter gehen, sich vielleicht selber einen Provider suchen (bei vielen lässt sich WordPress aus dem Kundencenter heraus automatisch installieren). Und dann fängt man an, an der einen oder anderen Schraube herumzudrehen. Auf diese Weise hab ich damals auch angefangen.
Volle Kontrolle kommt Schrittweise. WordPress hat den Vorteil, ohne Einstiegshürde zu sein und mit den Ansprüchen wachsen zu können. Mit den Builder-Themes und Plugins hat man im Übrigen auch hier so etwas wie einen „Baukasten“. Auch nicht originell? Man könnte an dieser Stelle von gesetzten Standards und Trends reden, so wie es Jerry Cao in seinem t3n-Artikel macht.
Wer wirklich auf Homepagbaukästen setzen will, obwohl es mit WordPress eine gute Alternative gibt, sollte es einfach machen. Hauptsache, er nutzt das WWW und überlässt es nicht den selbsternannten Experten. Ohne ein bisschen Graswurzel wäre das Web ein anderer, kälterer Ort.
Bei genauerem Hinsehen ist die Kontroverse um Homepagebaukästen gar keinen, sondern nur ein Kampf um die Besitzstandswahrung von Webdesignern und Agenturen, die um ihre Arbeit fürchten. Das ist auch tatsächlich so. Hier besteht die Herausforderung darin, dies als Chance zu begreifen und den künftigen Fokus auf die Beratung des Kunden zu legen. Die ist nämlich nach wie vor gefragt. Und wenn wirklich ein Kunde was absolut originelles haben will, muss man ihm einfach klar machen, dass Maßschneiderei auch bei virtuelle Produkten eine Frage des Preises ist.