Nachbarn sind manchmal ein Grund für Kummer, häufiger aber auch genau die helfende Hand, die man gerade dringend braucht. Großstädter sollten sich jedoch nicht der Illusion hingeben, dörfliche Nachbarschaft auf ihr Umfeld übertragen zu können. Wenn man es wie auf dem Dorf haben will, muss man schon aufs Land ziehen. An der Stelle helfen auch keine „Veedel“.
Tatsächlich spürt zumindest hier im Stellwerk 60 so etwas wie eine dörfliche Atmosphäre. Das liegt aber eindeutig an der besonderen Struktur dieser Siedlung. Abgesehen davon ist die Siedlung durch kleiner als das, was man in Köln unter einem Veedel versteht.
Wie dem auch sei, nachbarschaftliche Beziehungen ist immer etwas, woran man arbeiten muss. Verbessern lässt sich so etwas immer. Auch das Gegenteil ist möglich, es reicht im Sommer nur eine exzessive Grillparty aus und schon ist die Stimmung bei den Nachbarn im Keller.
Wenn man Nachbarschaft etwas weiter als das direkt Wohnumfeld fast, wird es etwas schwieriger, Kontakte zu knüpfen — die Sache mit dem Dorf eben. Wo es kein echtes Dorf gibt, hilft das digitale Dorf aus. Soziale Netzwerke suggerieren gerne den Ponyhof, auf dem wir alle glücklich sind. Oder sein sollten, damit die Werbeeinnahmen für die Betreiber ordentlich fließen.
Ich für meinen Teil bin wenn es über den eigenen Tellerrand hinausgeht, mit einer gesunden Portion Skepsis ausgestattet. Denn wer weiß schon, ob sich hinter dem sympathischen Onlineprofile statt eines netten Nachbarn nicht jemand befindet, der im Grunde nur wissen will, zu welchen Zeiten meine Wohnung unbeaufsichtigt ist. Selbst hier, in der autofreien Siedlung mit einer für Kölner Verhältnisse erhöhten sozialen Kontrolle gab es mehrfache Einbruchsversuche.
Reden wir aber nicht über Einbrüche, sondern Einfälle. Zum Beispiel den, einen neue Nachbarschaftsplattform auf der Taufe zu heben.
Diese Zettel lagen letzte Woche in den Briefkästen. Nicht nur im Stellwerk 60, sondern im gesamten „Eisenbahn-Veedel“ — schon mal ein deutlich weitere gefasster Begriff von dem, was ich als Nachbarschaft bezeichnen würde. Zum Vergleich: hier in unserer Siedlung gibt es rund 400 Haushalte. Was mich bei dem Zettel sofort gestört hat ist der Name. Einfach nur Jan. Kein Adresse, bis auf die URL, kein Nachname. Lediglich der Vorname. Da sind die Zettel von irgendwelche dubiosen Pizza-Läden schon deutlich vollständiger — und wirken auch noch seriöser.
Die Zettel-Aktion hat weite Kreise in Köln gezogen. Persönlich bekannt sind mir Verteilungsaktionen in gesamt Nippes und im Agnes-Viertel. Allerdings gab es da jeweils einen anderen „Jan“. Für mich sieht das nach einer Werbeaktion für die Plattform eines Start-Ups aus. Kann man machen. Auch so undurchdachte wie geschehen. Trotzdem steht an unserem Briefkasten „Keine Werbung einwerfen“. Ein weiterer Minuspunkt.
Zudem täuscht die Aktion eine lokale Initiative vor, die es so aber nicht gibt. Dem Kölner Stadt-Anzeiger gegenüber äußerten nicht wenige Kölner Anwohner ihre Enttäuschung angesichts der Aktion von nebenan.de. Kann ich ganz gut nachvollziehen. Menschen die in Berlin wohnen, sind für mich keine Nachbarn. Wenn ich schon jemand völlig fremden meine Daten anvertraue, dann nutze ich Plattformen, die sich durchgesetzt haben. Bei Facebook gibt es zum Beispiel gut funktionierende Gruppe zum Beispiel für das Agnes-Viertel und Nippes. Für mich ist das auch die Informationsquelle, wenn ich wissen will, was sich hier vor Ort alles abspielt.
Darüber hinaus: Die autofreie Siedlung hat einen gut funktionierenden Nachbarschaftsverein, der sich auch für die Anliegen der Bewohner nach außen stark macht. Hier brauche ich nun wirklich keine zusätzliche Möglichkeit. Und was die zwei Eier zum Backen angeht, klingel ich lieber direkt hier im Haus durch, bevor ich durch das ganze Veedel laufe für zwei Eier — die ich bei dem Aufwand dann auch gleich im Supermarkt kaufen könnte.
3 Kommentare
Den gleichen Zettel hab ich vor 2 Wochen auf Twitter gesehen, den hatten gleich zwei Berliner in ihrem Briefkasten.
Ich fürchte, dass unsere Siedlung ein 2-Klasse-System hat. Die Eigentümer sehen sich auf ihren Versammlungen und die paar Mieter sind irgendwie NPCs. Immerhin lernt man sich durch die gegenseitige Annahme von Pakete auf kuriose Art näher kennen :)
Bei uns gibt es auch eine gemischte Struktur aus Eigentümer und Mietern, sogar innerhalb eines Hauses. Zum Glück sind wir keine NPCs, da uns die Vermieterin über alles informiert beziehungsweise uns als Vertretung in die Eigentümerversammlung schickt .
Der Nachbarschaftsverein ist dann für alle da :-)