Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Tief im Norden, man möchte fast den Song „Bochum“ von Herbert Grönemeyer umdichten, wenn das alles denn nicht so traurig wäre. Tief im Norden von Essen, aber auch im Ruhrgebiet. Kernland der Sozialdemokratie, ließe sich auch sagen. Trotz aller Versuche der Parteispitze gibt es immer noch sozialdemokratische Werte, für die es sich einzutreten lohnt. Und die meinen Austritt bisher verhinderten.

Das was ich über Essen und die dortigen Genossen in den vergangenen Tagen jedoch lesen musste, führte bei mir zu argen Bedenken, ob man sich immer noch auf das gleiche Fundament beruft oder aber ob andere sich schon längst von dem entfernt haben, was zum Kern der Sozialdemokratie gehört. Jemand wie Otto Wels, der sich mutig trotz anwesender SA-Männer im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetzt mit den Worten „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“ stellte, würde sich vermutlich im Grabe drehen. Genossen, die sich gemein machen mit rechtem Gedankengut. Die in Bezug auf verfolgte Menschen behaupten, das Boot sei voll und aus Protest auf die Straße gehen.

Nopse / Pixabay

Aber der Reihe nach. Drei SPD-Ortsvereine aus dem Essener Norden wollten gemeinsam gegen die geplante Verteilung von Flüchtlingen in ihren Stadtteilen demonstrieren, unter dem Motto „Genug ist genug, der Norden ist voll!“ Das hört sich nicht nur schlimm an, sondern ist es auch. Es bedarf wenig Phantasie um vorherzusagen, was für ein Personenkreis bei so einem Aufruf mitmarschieren würde. Zudem hätte sich die Rechten ins Fäustchen gelacht. Einfach kann man es ihnen nicht machen. Sozialdemokraten als willfährige Handlanger von Neo-Nazis. Ein sehr gruseliger Gedanke.

Gekommen ist es dann anders, die Veranstaltung wurde kleinlaut abgesagt, auch weil die Gegenstimmen innerhalb der eigenen Partei doch sehr laut waren — zum Glück. Erledigt hat sich das Thema damit aber noch lange nicht. Wie so oft, hilft es die Vorgeschichte zu kennen, was aber in keinem Fall die Naivität (um einen eher wertneutralen Begriff zu verwenden) der Essener Genossen entschuldigt.

Soweit ich es verstanden habe (und Essen kenne ich aus beruflichen Gründen ein Stück weit), werden die Flüchtlinge in Essen auf die Stadtteile ungleichmäßig verteilt. Im Norden sollen sich bereits Unterkünfte befinden, weiter sollten hinzukommen. Im Süden dagegen wurden, so heisst es, keine Unterkünfte zur Verfügung stellt. Zudem gilt der Norden als strukturschwach. Von einer einseitigen Verteilung kann also durchaus gesprochen werden. Das die Stadt mittlerweile von einem CDU-Bürgermeister regiert wird, ist wohl eher nebensächlich.

Die ungleiche Verteilung ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal, sondern wird so in ähnliche Form auch in anderen Städten der Fall sein. Man kann sicher schnell die Neid-Karte spielen, aber wer ehrlich ist, schaut genauer hin. Es gibt aus einer Vielzahl von Gründen Stadtteile, die sich einfach besser eignen — wobei „besser eigenen“ hier mit Vorsicht zu genießen ist. Für die Unterbringung wird entweder neu gebaut oder es werden leerstehenden Flächen gesucht. Dabei soll das Ganze so günstig wie möglich sein. Würden Flüchtlinge für viel Geld in Rüttenscheid in einem Hotel untergebracht werden, wäre das Geschrei auch groß. Sinnvoll wäre eine Art „Lastenausgleich“ (eigentlich Länderfinanzausgleich), wie es auch bei den Bundesländern üblich ist.

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