Das Fenster beziehungsweise die Tür mit der Nummer 18 war unsere. Der lebendige Adventskalender scheint so etwas wie eine kleine Tradition hier in der autofreien Siedlung zu sein. Nachbarn, ob Hausgemeinschaften oder einzelnen Familien, richten an einem Tag im Advent abends ab 18 Uhr etwas aus für die Nachbarschaft.
Man trifft sich untereinander in vorweihnachtlicher Stimmung, bei Liedern, Glühwein, Kinderpunsch und Keksen. Seit dem wir hier wohnen, genießen wir diese besondere Zeit. Und in diesem Jahr hatte unsere Hausgemeinschaft ihre Premiere. Gestern schleppten wir Bänke auf der Mobilitätsstadtion heran, bauten ein kleine Buffet mit Herzhaften und Süßem auf, erhitzen Kinderpunsch so wie Glühwein. Die Nachbarn kamen. Einer der Mitbewohner spielten zusammen mit seiner Tochter auf Gitarre und Tube, es wurden Weihnachtslieder dazu gesungen. Rund um die Feuerschale sitzen hielten Kinder wie Erwachsen Stockbrot ins Feuer.
Der Abend gestern wird mir als Erlebnis wohl noch lange im Gedächtnis bleiben. Aber auch wegen etwas anderem, was mir heute morgen beim ausspülen der Glühweintassen noch mal durch den Kopf ging. Eines der Weihnachtslieder, eigentlich ein Klassiker: „Morgen kommt der Weihnachtsmann“. Bis gestern wusste ich nicht, dass ich die ganzen Jahre nur die entschärfte Version mitgesummt (vgl. dazu Thomas und der Musikunterricht) hatte.
Im Original-Text des Hoffmann von Fallersleben heisst es unter anderem:
Morgen kommt der Weihnachtsmann,
Kommt mit seinen Gaben.
Trommel, Pfeife und Gewehr,
Fahn und Säbel und noch mehr,
Ja ein ganzes Kriegesheer,
Möcht’ ich gerne haben.
Gewehr? Kriegsheer? Das steht da wirklich. Angesichts der Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr wird einem schon anders, eher unweihnachtlich zumute. Bekannt war mir auch nicht, von wem das Lied stammte, denn selbstverständlich ist von Fallersleben kein Unbekannter. Die Nationalhymne, das so genannte „Lieder der Deutschen“ stammt vom ihm. In die Rechte Ecke sollten man ihn allerdings nicht abschieben, sondern sich mit den historischen Gegebenheiten auseinandersetzen. Hoffmann selber wird als liberal bezeichnet und stand den der Märzrevolution nahe, ohne jedoch selber an ihr beteiligt gewesen zu sein.
Zurück aber zum Kinderlied. Kriegsspielzeug unterm Weihnachtsbaum. Oder wenn man so will die Frage, ob Kriegsspielzeug moralisch verwerflich ist und aus Kinder gewaltbereite Erwachsene macht. Soweit ich mich zurück erinnern kann, lag zumindest unterm Weihnachtsbaum kein direktes Kriegsspielzeug.Was aber nicht bedeutet, dass mein Bruder und ich zu anderen Anlässen nicht welches geschenkt bekommen hatten. Panzer, Soldaten. Wobei, wenn ich jetzt darüber schreibe, kommt mir so einiges in den Sinn, was es zu Weihnachten gab. Eine Ritterburg samt bewaffneter Ritter. Cowboys, die ihr Fort gegen wilde Indianer verteidigten. Und auch das Brettspiel Risiko, wo es eindeutig hieß „vernichten sie die rote Armee“ (Kleinschreibung hier bewusst, da es auch die grüne, blaue usw. Armee gibt bei Risiko).
Was ist dann aus meinem Bruder und mir geworden? Tja, war haben beide Zivildienst geleistet und sind auch bisher nicht auffällig geworden. Nur in Bezug auf Kriegseinsätze hat sich meine Haltung etwas geändert. Aber das hängt weder mit Weihnachtslieder noch mit Kriegsspielzeug zusammen, sondern mit einer anderen, altersbedingten Art der Reflexion.