Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Der Kiesweg knirschte, als er mit dem Auto im Schritttempo durch die Kleingartenanlage fuhr. Seine Laube befand sich am hinteren Ende im Schatten der Brücke, wo die Sonne selten zu Gast war. Danneberg stellte den Wagen vor dem Gartentor ab, obwohl das Parken auf dem Weg verboten war. Am Ende der Sackgasse interessierte es aber niemanden. Genauso wenig störte sich jemand daran, dass er hier eigentlich nicht dauerhaft wohnen durfte. Mit Schwung warf er die Tür zu und lief über das verwilderte Grundstück auf seine Bleibe zu. Drinnen atmete er erstmal tief durch und versuchte seine Gedanken zu sortieren. Einen entscheidenden Moment hatte er am Bahnhof verpasst. Egal, er hatte schließlich viel Phantasie und wenig Zeit bis Redaktionsschluss.

Hastig schrieb er seinen Artikel. Die Lücke im Ablauf füllte er dabei so, wie er es für richtig hielt. War nicht das erste Mal, dass die Polizei jemand erschossen hat, der bereits am Boden lag, dachte Danneberg. Nur kurz überflog er den Text, verschärfte noch ein paar Stellen.
Er nahm die ausgedruckten Seiten und legte sie ins Fax-Gerät ein. Mit seinen Gedanken bereits woanders, tippte er die Nummer der Redaktion, der Rest würde ohne ihn stattfinden. Zeit für ein Abendessen, ein richtiges Bier und eine Tüte gekühlter Gummibärchen zum Nachtisch. So schmeckten sie einfach besser, davon war Danneberg überzeugt, wobei das auch Einbildung sein konnte. Keine Einbildung dagegen war das Klopfen an der Tür. Gleichzeitig versuchte das Faxgerät, seine Aufmerksamkeit zu wecken.

„Kripo Bad Grösel, Herr Danneberg, machen sie bitte die Tür auf.“

Danneberg mühte sich aus seinem Sessel. Er öffnete die Tür und war erstaunt. Nicht nur darüber, dass vor ihm nur eine Person stand, die ihm eine Pistole unter die Nase hielt, sondern auch über seine eigene Dummheit. In Bad Grösel gab es keine Polizeidienststelle mehr. Danneberg hatte über die Schließung der Polizeistation vor zwei Jahren einen Artikel geschrieben. Statt noch etwas zu sagen, schubste der Mann ihn hinein und deutet mit der Waffe zum Sessel.

„Udo Danneberg, 43 Jahre alt, geschieden, arbeitet als talentfreier Redakteur bei der Schwelmstädter Morgenpost.“
„Das haben Sie aber schön auswendig gelernt.“

Eine mutige Feststellung angesichts der Situation, in der sich Danneberg gerade befand. Sein Gegenüber ließ sich nicht aus dem Konzept bringen.

„Wenn ich einen Komiker möchte, lass ich mir einen Clown kommen. Sie reden nur, wenn ich Sie dazu auffordere.“
„Warum sollte ich das?“
„Weil ich der Mann mit der Waffe bin.“

Danneberg lehnte sich im Sessel zurück. Langsam, damit sein Gegenüber nicht falsche Schlüsse ziehen würde. Er wollte den gerade angebrochenen Abend nicht vorzeitig auf unschöne Weise beenden. Mit dem dümmsten Gesichtsausdruck, zu dem er gerade noch fähig war, schaute er den Mann an.

„Was meinen Sie gesehen zu haben.“, fragte dieser.
„Ich weiss nicht, wovon Sie sprechen.“
„Woher wusste ich, Sie würden versuchen, mich für dumm zu verkaufen? Nun, machen wir es kurz. Ich hatte einen langen Tag, habe ein nervöses Leiden, welches sich gelegentlich auf den Zeigefinger auswirkt und möchte gleich Feierabend machen. In welchem Zustand ich Sie dabei zurücklasse, liegt ganz bei Ihnen. Können Sie mir soweit folgen?“

Danneberg nickte. Was immer das hier war, es war nichts, was sich in einer offiziellen Akte wiederfinden würde.

„Schön. Wir verstehen uns also.“ Mit der freien Hand zog er Dannebergs Artikel aus dem Fax-Gerät. Er überflog die beiden Seiten.

„Interessant. Vor allem Ihre Schlussfolgerung.“
„Was wollen Sie von mir?“
„Sie verstehen das nicht ganz richtig. Ich persönlich will gar nichts von Ihnen. Man bat mich nur darum, Ihnen etwas auf die Sprünge zu helfen.“
„Wer auch immer möchte vermutlich eine überarbeitet Textfassung.“
„Sehen Sie, so gefallen Sie mir. Ich denke, das hier sieht wirklich hoffnungsvoll für uns beide aus. Sie haben in Ihrem Artikel behauptet, Warms wäre von der Polizei erschossen worden.“

„Hab ich das?“, rutschte es Danneberg raus. Der Schlag mit der Waffe kam unerwartet.
„Das tut mir jetzt ausgesprochen leid, aber Sie haben vermutlich Eis im Kühlschrank. Also noch mal, anders formuliert. Haben Sie gesehen, wie Warms erschossen wurde, ja oder nein.“

Danneberg befühlte das, was eine unschöne Beule geben würde.
„Nein.“
„Na also, geht doch.“
„Ich soll also schreiben, dass ich nichts gesehen habe?“
„Nicht ganz. Natürlich haben Sie was gesehen. Wir wissen schließlich, wo Sie gestanden haben.“ Er holte etwas aus seiner Jackentasche und warf es Danneberg zu. Beim Verlassen des Hotels hatte er das verloren.

„Verdammte Türklinke.“
Danneberg bekam sich wieder in den Griff.
„Was genau habe ich denn gesehen?“
„Selbstverständlich haben Sie gesehen, wie Warms sich mit seiner Waffe selber erschossen hat.“

Bis gerade war es für Danneberg nur eine Vermutung gewesen, dass Warms nicht durch seine eigene Hand gestorben war. Jetzt wusste er es.

„Ich verlasse mich da ganz auf Sie. Ein weiteres Gespräch wird sicher nicht notwendig sein. Sollten allerdings noch Unklarheiten bestehen…“
Der Rest blieb unausgesprochen.
„Sie finden wahrscheinlich alleine heraus, oder?“

Statt einer Antwort hörte Danneberg wenig später die Tür ins Schloss fallen. Ob Mord oder Selbstmord, für Warms selber war das letztendlich wohl egal.

Ein halbe Stunde später wählte Danneberg erneut die Nummer der Redaktion. Diesmal ging das Fax durch, mit den Änderungen. Was wirklich geschehen war, würde niemand aus der Zeitung erfahren.

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