Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Aus der Ferne betrachtet wirkt die Wahl am vergangen Sonntag in der Türkei wie eine erzwungene Neuwahl. Die bis zum Sommeranfang allein regierenden AKP wollt ihre Macht nicht teilen, erst recht nicht mit der Kurdenpartei HDP. Diese erzielt im Juni 13 Prozent, was Präsident Recep Tayyip Erdoğan (AKP) mehr als nur ein Dorn im Auge war. Er, der selbstempfunden Alleinherrscher und Vater aller gläubigen Türken, teilt mit niemanden.

Nichts wurde unversucht gelassen, um dem Ansehen der HDP in den vergangenen Monaten zu schaden. Anschläge der IS in der Türkei wurden den Kurden angelastet. Der Kurs der vorsichtigen Annäherung zu den Akten gelegt. Gleichzeitig ging es im Land bergab mit Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und den Menschenrechten. Unter Erdoğan, so viel steht nicht erst seit Sonntag fest, wir das Land sich weiter denn je von Europa entfernen.

Von einem Europa, welches näher an die Türkei heranrückt. Nicht aus besondere Zuneigung, sondern aus purer Notwendigkeit. Die Türkei ist für viele Flüchtlinge, insbesondere diejenigen, die aus dem angrenzenden Syrien kommen, Transitland. Sie wollen weiter, Richtung Europa, selbst wenn die Überfahrt über das Mittelmehr ihr Leben kostet.

Die Not derer, die auf der Flucht sind, lässt sich nur gemeinsam lösen — so viel Einsicht ist mittlerweile auf europäischer Ebene vorhanden. Gemeinsam bedeutet in diesem Fall, nur im Schulterschluss mit de Türkei. Selbst dumm, wenn das in diesem Fall dem schlucken einer sehr bitteren Medizin gleichkommt.

Erdoğan ist Verhandlungspartner für die EU. Auch wenn sein Wahlsieg eine Niederlage für den Fortschritt ist, im Bezug auf die Flüchtlinge hilft die geschaffene Stabilität bei den Verhandlungen.

Man sollte sich allerdings keine Illusionen machen. Für zu erbringenden Leistungen wird Erdoğan Zugeständnisse fordern. Für ihn stehen nicht die Flüchtlinge, die Menschen im Vordergrund, sondern einzig und allein der Machterhalt.

Ob die Türkei in den nächsten Jahren überhaupt in Frage kommen wird als neues EU-Mitglied, hängt entschieden von den Entwicklungen im Land ab. Besonders gut sieht es derzeit nicht aus. Auch wenn die AKP mit 60 Prozent eine deutliche Mehrheit erlangte, so steht ihr die HDP mit gut 16 Prozent gegenüber. Der Partei der Kurden ist, auch wenn Erdoğan es anders sieht, ein politischer Faktor geworden. Das außer Acht zu lassen, wäre schiere Dummheit. Es wäre ratsam, die HDP einzubinden statt sie zu bekämpfen. Der Umgang mit ihr ist Gradmesser, hie entscheidet sich, welchen Weg die Türkei künftig einschlagen wird. Beitrittsverhandlungen kann es nur geben, wenn sich die politische Situation in der Türkei sichtbar entspannt.

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