Von allen guten und bösen Geistern verlassen

„Es ist wie Urlaub,“ Seine Worte brachen freudig aus ihm hervor. Am späten Abend hatten Sabina und Peter noch darüber gestritten, ob sie es ihm sagen sollten. Sabrina stand jetzt neben ihrem Schwiegervater, der entzückt von der Klippe auf das vor ihn liegende Meer blickte. Seine Krankheit war in den letzten Monaten zu einer großen Belastung geworden. Das Einzig, was Peter tat, war sich die Schuld zu geben am Zustand seines Vaters. Alles andere, die gesamte Pflege und den Haushalt eingeschlossen, oblag Sabrina. Neben ihrer Arbeit blieb keine Zeit mehr die schöne Dinge. Mittlerweile hielt sie es doch für einen Segen, keine Kinder zu haben. Urlaub. Seit sie die Pflege übernommen hatten, blieb das eine Wunschvorstellung. Zu groß auch das Risiko, Peters Vater alleine zu lassen. Sie konnten sich glücklich schätzen, dass er immerhin noch seinen Sohn erkannte. Das die selbst lediglich die fremde Frau in der Wohnung war, störte Sabrina nicht mehr so wie in den ersten Monaten.

Peter saß noch immer im Wagen. Die Frage, wer von den beiden ihm fremder geworden war, ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Unruhe erfasste ihn. Zum wiederholten Mal griff er rüber ins Handschuhfach. Dort lag der Ausweis seines Vaters zusammen mit ein paar anderen persönlichen Gegenständen. Später auf der Rückfahrt wollten sie diese über eine Brücke ins Wasser werfen. Sein Vater würde die Dokumente nicht mehr brauchen. Es wäre auch hinderlich, wenn man sofort seine Identität ermitteln könnte. Angemeldet hatten sie ihn in einer kleinen Pension, zu der er ohne Hilfe nicht mehr zurück finden würde. Peter spürte die Schuldgefühle nur noch wie eine alte Narbe, die bei Wetterwechsel anfing zu jucken. Genau wie Sabrina wusste er, dass sie sich die Demenz seines Vaters nicht mehr leisten konnten.

Sabrina dachte an den ersten Versuch, den alten Mann loszuwerden. Das war so gründlich schiefgegangen. Nach dem ersten Schock, als ihr Schwiegervater wieder vor der Haustür stand, fanden sie heraus, wie er nach Hause gefunden hatte. Der Wald war nicht tief genug gewesen. Zudem kannte er ihm wohl noch von früher, vermuteten sie. Ausschlaggebend aber waren die Papiere, in denen seine Eukalyptus-Bonbons gewickelt waren. Nach wie vor aß er diese noch gerne . Das Bonbonpapier hatte er früher achtsam bei Spaziergängen in seiner Manteltasche verstaut. Mittlerweile ließ er es einfach am Ort und Stelle fallen. Sabrina musste schon Berge davon aus dem Wohnzimmer, ihrem Wohnzimmer auflesen. Er saß immer im Sessel, sah sich Filme an, die nur er mochte, und lutschte seine Bonbons. Das Papier sammelte sich hinter dem Sessel. Dieses Papier war es, mit dem er unabsichtlich eine Spur bis nach Hause gelegt hatte, als sie ihn an einem Sonntag in den Wald führten.

Von Sabrina konnte er sich scheiden lassen. Wenn er jedoch einmal schon dabei, hinter seinem Leben aufzuräumen, dann besser gründlich. Ein Neuanfang, ohne Bindungen oder Verpflichtungen. Der Unterschied zwischen Sabrina und seinem Vater kam ihm in den Sinn. Sie loszuwerden würde wesentlich schwierig. Dagegen empfand er für Hans noch so etwas wie Mitleid. Der alte, demente Mann war immerhin sein Vater. Den gab es nur einmal, heiraten dagegen konnte er immer wieder, falls ihm jemals erneut danach sein sollte.

Das Leben an der Seite von Sabrina hatte auch seine schönen Momente gehabt. Dies zu leugnen hieße sich selber zu verleugnen. Wenn es einen Menschen gab, zu dem Peter ehrlich war, dann zu sich selber. In dieser Ehrlichkeit jedoch lag auch der Grund, Sabrina loszuwerden. Ohne seinen Vater brauchte er keine Pflegekraft mehr im Haus. Was anderes war seine Frau nicht mehr für Peter. Viel mehr als Streit lief schon länger nicht mehr zwischen ihnen. Zudem stand Sabrina ihr Alter ins Gesicht geschrieben. Kein schöner Anblick, morgens, wenn sie noch ungeschminkt war. Möglichkeiten kamen ihm in den Sinn, die er sofort wieder verwarf.

Immer noch stand Sabrina unentschlossen bei seinem Vater, als Peter aus dem Wagen stieg. Langsam ging er zu den beiden herüber. Sah erst seine Frau an, dann seinen Vater, der ihn erkannte, bevor er den Satz aussprach, der ihm auf den Weg in den Sinn gekommen war.

„Papa, das ist die Frau, die Mama umgebracht hat.“

Hans ging auf die ihm fremde Frau zu, wurde handgreiflich. Peter sah noch den ungläubigen Blick von Sabrina, bevor er sich umdrehte und zum Wagen zurück ging. Dann hörte er hinter sich Sabrina nur noch schreien, als sein Vater eng umklammert mit Sabrina die Klippe herunterstürzte. Der Anblick blieb ihm erspart. Der Polizei das als Unfall zu erklären, fiel ihm leicht. Genau genommen war es auch ein Unfall. In der Pension gab er noch am gleichen Tag die Zimmerschlüssel zurück. Später unterwegs hielt er auf einer Brücke an, holte die Koffer von Sabrina und seinen Vater und warf sie über das Geländer. Dort wo sie jetzt waren, würden sie ihre Sachen nicht mehr brauchen. Erst als er dann wieder zurück ins Auto stieg, fühlte er sich endlich frei.

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