Einer der besten Altersindikatoren ist die Verwendung von Wörtern wie „früher“ oder „damals“ gerne in Kombination mit „besser“. Sobald man die Lebensphase erreicht hat, in der man zu verklären anfängt, ist man wirklich alt. Ein Trost ist es dann zu wissen, dass auch andere alt werden. Was aber, wenn die gar nicht erst Kind sein dürfen?
Sicher es gibt derzeit viele spannende Entwicklungen, wo man sich wünscht, noch mal etwas jünger sein zu dürfen. Aber Kind sein will ich, wenn ich ehrlich bin, auf keinen Fall mehr. Früher (da sind wir dann bei dem fürchterlichen Wort) gab es noch so etwas wie eine „unbeschwerte Kindheit“. Statt Helikopter-Eltern hatte ich welche, die mich in den meisten Fällen meine eigene Erfahrungen machen ließen. Das schloss auch die unweigerlichen Verletzungen durch Stürze und ähnliches ein.
Man muss nicht unbedingt seine eigene Kindheit verklären, aber wenn ich lese, dass derzeit fast 50 Prozent aller vier bis zwölfjährigen Kinder noch nie auf einen Baum geklettert sind, finde ich das besorgniserregend. Die Untersuchung der Deutschen Wildtier-Stiftung lässt keinen Zweifel: viele Kinder kennen Bäume nur aus der Froschperspktive.
Für mich gehörte das Klettern auf Bäumen zur Kindheit dazu. Und wir Kinder waren stolz darauf, klettern zu können. Von oben herab zu schauen, sich auch noch ein Stück weit höher trauen als die anderen. Die Bewegung tat mir gut, die motorische Fähigkeiten wurden spielerisch trainiert. Wie gut das in Erringung bleibt, merkte ich Jahre später beim bouldern in der Halle.
Leider habe ich im Spätsommer und Herbst nicht so wie andere von meinen Kletterkünsten profitiert. Das ganze Obst auf den Bäumen blieb stets sicher vor mir, denn ich mochte es einfach nicht. Das Einzige, was ich pflückte in den Bäumen war Pflaumen, weil man mit den ziemlich gut auf andere werfen konnte — da ist aber ein ganz andere Geschichte.
Zurück aber zu den heutigen Kindern, denen das Klettern verwehrt bleibt. Ja verwehrt bleibt, denn die Kinder bleiben in den meisten Fällen nicht aus eigenem Antrieb den Bäumen fern. Meiner Meinung nach ist klettern auch so eine Art Urinstinkt — würde mich angesichts unserer Abstammung auch nicht wundern.
Ein weiterer Urinstinkt ist jener der Eltern, die ihre Kinder vor allen möglichen und unmöglichen Gefahren schützen wollen. Klettert man auf Bäume, kann man von diesen Fallen. verantwortlich dafür ist die Schwerkraft. Klettert man nicht, bleibt einem der mögliche Sturz vom Baum erspart. Aber auch die Erfahrung, Hände und Füße koordiniert zu benutzen, das Gefühl, es geschafft zu haben, wenn man sicher knapp unter der Krone auf die Welt zu seinen Füßen blickt.
Ja, auch ich bin früher auch mal von einem Baum gefallen. Allerdings nicht sehr oft und es war auch nicht so hoch. Kindern lernen schnell, was sie sich zutrauen können und können für sich auch das Risiko abschätzen. Eltern sollten hier nur in Bezug auf „Mutproben“ eingreifen, die weniger mutig denn dumm sind — ich spreche hier aus Erfahrung.
Gefahren lauern überall, aber man kann und sollte Kindern nicht in Watte packen. Risiko gehört zum Leben dazu und es ein wichtiger Entwicklungsprozess, den Umgang damit zu lernen. je früher das passiert, desto besser ist das. Also weg mit den Stützrädern und rauf auf die Bäume mit den Kindern.
2 Kommentare
Hach, ich hatte nie wirklich das Bedürfnis auf Bäume zu klettern. Das hat nicht wirklich was mit meinen Eltern zu tun, vielmehr war ich ein kleiner Angsthase. Ich hatte schon Angst vorm Dreimeterturm in der Schwimmhalle. Aber recht hast du natürlich, Kinder und Jugendliche sollten ihre eigenen Erfahrungen machen dürfen, auch wenn es den Eltern schwer fällt, allerdings glaube ich, dass es solche Eltern schon immer gab und ein Hauptgrund, warum so wenig Kinder auf Bäume klettern, eher in den veränderten Freizeitangeboten zu finden ist.
Das mit dem veränderten Freizeitangebot war auch die Annahme der Wissenschaftler. Die These hat sich aber nicht bestätigt.