Essen hat für mich unbedingt etwas mit Selbstbestimmung zu tun. Die meisten von uns kenne sich er noch den Spruch aus Kindertagen „Es wird gegessen, was auf den Tisch komm“ — Widerspruch zwecklos. Als Kind hatte man wenig Chancen, dem vorgesetzten Essen zu entkommen. Man konnte das Taschengeld für Süßigkeiten ausgeben (oder bei Oma und Opa übernachten), dauerhaft war das keine Lösung.
Als Jugendlicher dann nahmen die Möglichkeiten zu. Gleichzeitig aber war das zumindest in meinem Umfeld auch die Zeit, wo es eine bedeutsame Wegkreuzung gab. Die einen entschieden sich in Bezug auf Essen für irgendwelchen Kram, den sie sich kauften. Meist als Ergänzung oder Ersatz zu dem, was sie zu Hause nach wie vor bekamen. Andere wiederum, zu denen auch ich gehörte, stellte ihre Ernährung komplett um. Das führte zu Konflikten mit den Eltern, denn man stelle sich auf diese Weise ganz bewusst auf eine gegensätzliche Position. Bei mir führte es auch dazu, dass ich lernte selber zu kochen.
Auf das selber kochen möchte ich nie wieder verzichten. Ich kann selber entscheiden, was ich koche, bin verantwortlich dafür, wenn es nicht schmeckt und kann mir jederzeit ein Lieblingsgericht erneut kochen. Die Gruppe der Mitschüler, die sich für den bequemen Pfad entschieden haben, werde wohl nach ihrer Trotzphase unter dem „Diktat“ ihres Lebenspartners stehen — und wieder genau das essen, was man ihnen serviert.
Auch wenn man selber gute und gerne kocht, gibt es dennoch Lebensabschnitte, in denen man sich als Erwachsener einer Fremdbestimmung in Bezug auf das Essen nicht entziehen kann. Früher, als es noch eine Wehrpflicht gab, musste man sich entscheiden für das Essen bei der Bundeswehr oder anderer, ziviler Einrichtungen — einige Männer hatten Glück und bekamen ihr Verpflegungsgeld ausgezahlt.
Aus der Zeit meines Zivildienstes kenne ich noch „Essen auf Rädern“, später gab es dann mal unglückliche Versuche in einer Firma, für die ich arbeitete, Restaurantbesuche für Kunden durch eine billigen Menüservice zu ersetzen. So was spart Kosten, macht aber auch die betroffenen Personen nicht wirklich zufrieden, auch wenn sie sich ihr Essen selber aussuchen können.
Vorgefertigte Menüs sind mir zuwider. Einen großen Horror habe ich vor dem, was einige von uns im Alter erwartet. Nämlich genau das. Wer pflegebedürftig wird, in einer Seniorenresidenz oder Altersheim wohnt oder auf bereits erwähntes „Essen auf Rädern“ angewiesen sein wird, hat damit auch ein ganzes Stücke Selbstbestimmung verloren. Im Alter muss man wieder essen, was einem vorgesetzt wird, weil man selber nicht mehr in der Lage ist, zu kochen.
Wie schlimm es dabei zugehen kann, zeigte bis vor kurzem Jürgen ein 63 Jahre alter Frührenter. Was da zum Teil auf die Teller kommt, würden Hundeliebhaber nicht mal ihrem Tier vorsetzen. Auf der Webseite nordbayern.de wurde über Jürgen ausführlich berichtet. Dort hieß es auch, man habe den Renter auf Grund der veröffentlichten Fotos aus dem Heim geworfen. So kann man natürlich auch mit berechtigter Kritik umgehen.
Letztendlich muss man sich aber fragen, ob man der Heimleitung Vorwürfe macht oder lieber der Gesellschaft, die solche Zustände nicht nur zulässt, sondern auch verursacht. Wenn für jeden Patient gerade mal 5,50 Euro pro Tag für Essen zur Verfügung stehen, ist es sehr sportlich, damit etwas vernünftiges hinzubekommen. Solche Fragen führen aber unmittelbar zu einer Auseinandersetzung, wie es überhaupt um die Seniorenpflege in Deutschland bestellt ist. Ein Thema, was viele lieber vermeiden — bis es sie selber betrifft. Dann aber geht das Ende der Selbstbestimmung über das Essen hinaus.