Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Niklas ist die Regalserie eines schwedischen Möbelhauses, die sich bei uns zu Hause im Wohnzimmer befindet — und in der sich die Spielesammlung befindet. Im Arbeitszimmer stehen auch mehrere Komponenten von IKEA, die den Namen „Niklas“ tragen. Wenn ich irgendwo Niklas höre, muss ich zwangsläufig immer an die Regale denken.

Darüber hinaus reicht meine Phantasie noch aus, sich einen kleinen verzogenen Jungen in einem Kindergarten vorzustellen, bei dem die Erzieher gerade laut und sichtbar genervt seinen Namen ruft.

Bis gestern verband ich mit dem Namen allerdings kein Sturmtief, auch wenn dem kleinen Junge im Kindergarten ähnliche Verwüstungen zuzutrauen wären. Verlassen wir aber den Hort der Erziehung und schauen uns das Sturmtief an. Für mich bedeutet so ein Unwetter immer zweifachen Stress. Neben der Sorge um das, was auf dem heimischen Balkon steht, trifft es mich als Pendler meistens auf die eine oder andere Weise. Man könnte sogar sagen, die Pflanzen auf dem Balkon kommen im Vergleich zu mir bei so einem Sturmtief besser weg als ich. Genau so war es gestern bei „Niklas“ auch wieder.

Der Morgen fing relativ harmlos an. Trotz eines gefühlt „leichten“ Windes ging ich ganz normal zur S-Bahn Stadtion, bekam auch pünktlich den Zug Richtung Kölner Hauptbahnhof. Dort hieß es, dass der ICE 616 nach Dortmund ein paar Minuten später kommen würde. Wobei er statt 8:10 Uhr mit 8:06 Uhr angezeigt wurde. Fahrplanänderungen auf Grund von Baumaßnahmen, war zu erfahren. Zusätzlich sollte er gestern nur bis Essen fahren (Bergbauschäden oder was ähnliches). Per Lautsprecher wurde durchgesagt, er würde in umgekehrter Zugreihung fahren (der ICE ist in der Regel zweiteilig). Der ICE kam, ich stieg ein und wollte mich setzen. Nur kurz stutzte ich, dass der Zug in Köln leerer wurde als sonst. Eine der Aussteigenden Reisenden sagte mir, der Zug würde in Köln enden. Dann kam auch schon die Ansage: „Auf Grund eines Unwetterschadens an der Strecke würde der Zug nicht weiterfahren.“ Man solle dann den ICE Richtung Berlin nehmen.

An der Stelle hätte ich die einmalige Chance gehabt, nicht nur misstrauisch zu werden, sondern umgehend wieder nach Hause zu fahren, gehen oder notfalls hüpfen. Rein logisch betrachtet fahren der ICE 616 und der ICE Richtung Berlin auf dem gleichen Streckenabschnitt Richtung Essen. Als ich jedoch einstieg, verflog diese Chance. Der Zug, welcher trotz seiner Bereitstellung in Köln bereits eine Verspätung hatte, fuhr erstmal nicht los. „Wir warten noch auf den Lokführer“, hieß es. Als es dann endlich losging, stand der Zug um 8:38 Uhr schon wieder in Köln-Mülheim. Sporadisch ging es sehr langsam weiter, man würde einen Umweg fahren und auf der Strecke gäbe es einen Stau — genau die Gründe also, warum man mit der Bahn und nicht mit dem Auto unterwegs ist.

Um 9:12 Uhr war dann endgültig Schluss mit Bahnfahren. Der Zug stand am Bahnsteig in Opladen. Etwas später gesellte sich der ICE nach Amsterdam dazu, dessen Reisende auch irgendwo im Nirgendwo in der Nähe von Leverkusen strandeten. Professionell wurde durchgesagt, man wüsste nicht, wann es weitergehe oder was jetzt zu tun sein. Aber man würde jetzt die Türen öffnen.

Die naheliegende Lösung, mit einem Regionalzug zurück nach Köln zu fahren, fiel leider aus. Auf dem Gleis in der Gegenrichtung stand ein Regionalzug, dessen Lokführer es noch mit letzter Kraft geschafft hatte, den Bahnhof in Opladen anzusteuern. Sein Zug hatte irgendwo auf dem davor liegenden Streckenabschnitt einen Teil der Oberleitung abgerissen.

Was passiert, wenn Reisende aus zwei voll besetzten ICEs in einem kleinen Ort wie Opladen stranden, kann sich jeder vermutlich gut vorstellen. Es kam zum Glück beim Kampf um verfügbaren Taxen zu keinen nennenswerten Körperverletzungen. Für mich kam ein Taxi auf Grund der beim Autofahren entstehenden Reiseübelkeit nicht in Frage. Laufen wäre zu weit gewesen, auch mit Tasche und Wetter etwas anstrengen. Es gab nur zwei Busverbindungen zurück in die Zivilisation. Entweder nach Schlebusch, von wo aus die Linie 4 zu nehmen gewesen wäre (genau, die Linie, bei der gestern ein Ast die Verbindung zum erliegen brachte, was ich aber in Opladen noch nicht wusste). Oder aber die Buslinie 250 von Solingen nach Köln, Breslauer Platz. Wie alle anderen (zumindest so viele, wie gerade noch in einen Bus reinpassen) Reisenden auch nahm ich die 250. Stehend im Bus ging es dann übers Land Richtung Köln, wo wir eine gefühlte Ewigkeit (wie das so ist bei sich abzeichnenden Erstickungstod) später ankamen. Die Tatsächliche Reisezeit betrug etwas über eine Stunde, weil in Leverkusen ein paar Menschen fest davon überzeugt waren, im übervollen Bus noch mitfahren zu können — mit dem Ergebnis, dass sich die Türen nicht schlossen. Kurz bevor es zur Lynchjustiz kam, siegte dann doch die Einsicht, so dass der Bus weiterfahren konnte.

Kurz vor dem Breslauer Platz wurde es dann noch mal richtig spannend auf der Zoobrücke, als der Sturm den Bus umtost und Witze kursierten, das Fahrzeug würde jetzt in den Rhein stürzen. Geglaubt haben das nicht wenige.

Statt mit der S-Bahn fuhr ich mit der U-Bahn vom Breslauer Platz zurück nach Nippes und läutete dort das Ende des Vormittags ein. Für das Unwetter kann die Bahn nichts, ganz klar. Dafür aber für ihr mehr als bescheidenes Krisenmanagement. Um die Reisenden aus zwei ICE-Zügen hat sich in Opladen niemand gekümmert. Den Zug überhaupt von Köln aus starten zu lassen, halte ich im Übrigen für fahrlässig. Zumindest hätte man die Reisenden informieren sollen, auf was sie sich da einlassen. So wie es gelaufen ist, fühlt man sich verladen. Verladen in Opladen, quasi.

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