Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Es gibt sie immer wieder, die Themen, bei denen jeder meint mitreden zu können. Eines der beliebtesten davon ist, zumindest in Deutschland. Bildung und Schule. Schließlich sind die allermeisten von uns auch mal zu Schule gegangen und haben daher auch eine eigene Meinung zum Thema. Ob diese reflektiert ist oder nicht, lassen wir mal dahingestellt.

Unabhängig davon erweist sich das deutsche Bildungssystem als erstaunlich resistent gegenüber Veränderungen. Wenn denn mal eine Reform ansteht, wird sie in der Regel zu überstürzt angegangen, dass sie mehr Probleme verursacht als löst (siehe G8). Bei einer ehrlichen Bestandsaufnahme des deutschen Schulsystems würde man zum Schluss kommen, dass einiges im Argen liegt. Traurigerweise muss hier ergänzt werden, wie wenig sich bisher immer nach einer Bestandsaufnahme geändert hat. Auch der Tweet vom vergangenen Samstag einer Kölner Schülerin wird daran nichts ändern — obwohl er zu einer breiten Diskussion geführt hat.

Auch hier hat wieder jeder eine Meinung dazu. Lateinern würde vermutlich sofort ein Zitat in den Sinn kommen. „Non vitae, sed scholae discimus“ diese Aussage wird dem römischen Philosophen Lucius Annaeus Seneca zugeschrieben. Nicht für die Schule lernen wir, sondern für das Leben. Naina bestreitet das in ihrem Tweet und viele können dies sicher bestätigen.

Mir wurde in der Schule auch nicht beigebracht, wie ich eine Steuerklärung zu machen haben (auf einem ganz anderen Bierdeckel steht, dass man mal über Steuerklärungen nachdenken sollte, wenn sie so kompliziert sind, dass man sie quasi als Unterrichtsfach benötigt…). Genau erzählten mir Lehrer von der Notwendigkeit eines Bausparvertrages. Den hatten im Übrigen recht schnell die Schüler, die nach der 10. Klasse abgegangen sind, um was „praktisches“ zu lernen und eine Lehre anfingen. Auch wieder ein anderes Thema.

Bleiben wir aber beim Thema. Als jemand, der Schule nicht ausschließlich aus der Schülerperspektive kennt, sondern auch Lehramt studiert und sich lange mit dem Thema beschäftigt hat, sieht meine Sicht auf die Dinge etwas anders — um nicht zu sagen differenzierter — aus. Auf der einen Seite hat Naina Recht. Das was sie aufführt, ist nicht Gegenstand von Schulunterricht. Auf der anderen Seite sei aber die Gegenfrage erlaubt, ob dies denn wirklich notwendigerweise gelehrt werden muss. Oder einfacher formuliert: Muss es wirklich mehr Alltagsbezug im Schulunterricht geben?

Man macht es sich verdammt einfach, wenn man jetzt jedes Fach, jedes Unterrichtsthema prüfend hervorzieht. Kurvendiskussionen brauchen die wenigsten. Genauso wenig müsste man lernen, wie Vincent van Gogh gemalt hat oder was Barock-Musik auszeichnet. Gedichte interpretieren die Wenigsten von uns in ihrem Berufsalltag. Also alles unwichtiges Zeug? Wäre es also besser, lieber alles über Mietrecht zu lernen, über Versicherungen, Bankgeschäfte und den rechtssichern Abschluss von Verträgen? Scheidungs- und Unterhaltsrecht wären in dieser Reihe wohl durchaus auch sinnvoll.

Wie man das beurteilt, was Unterrichtsstoff ist oder sein sollte, hängt davon ab, welche Überzeugung man mit sich herumträgt. Also vom welchem Bildungsideal man ausgeht. Es gab eine Zeit, da sollte in den meisten Schulen für gewöhnliche Menschen nur genau das gelehrt werden, was für die Funktion als Arbeiter notwendig war. Nicht Bürger, sondern Untertanen wollte man haben. In diese Reihe passt für mich auch die immer wieder aufkommende Forderung, man müsse den Schulunterricht an die Erfordernisse der Industrie ausrichten. Das ist möglich, man sollte aber zu Ende denken, wie dann die Gesellschaft aussehen würde.

Selbst wenn man vieles, was einem in der Schule beigebracht wird, wieder vergisst und vielleicht auch nie in seinem Leben benötigt, es hat in einem Spuren hinterlassen. Mit zunehmenden Alter erkennt man diese Spuren, leider aber eben nur rückblickend. Wer Schule nur auf die Vermittlung von Wissen und Können reduziert, hat das Wesentliche nicht verstanden. Schule sollte (auch wenn es ein angestaubtes Bildungsideal aus der deutschen Klassik ist) Herzensbildung betreiben, den Charakter eines Menschen formen. Wer in der Schule das Lernen gelernt hat, der schafft auch später seine Steuererklärung — oder aber nimmt sich einen Steuerberater.

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