Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Es gibt eine Formulierung, die bei mir regelmäßig und unabhängig davon ob sie von Gutmenschen oder anderen benutzt wird, Brechreize auslöst. Sie geht in etwa so „man sei stolz, XYZ zu sein.“Meiner Meinung nach kann man froh darüber sein, in XYZ zu leben. Oder sich dazugehörig zu fühlen. Stolz sein ist unangebracht, denn stolz sein kann man lediglich auf eine Leistung, vornehmlich eine eigene. Irgendwo geboren zu sein oder zu leben, ist jedoch keine Leistung.

So bin ich für meinen Teil froh, in Europa zu leben. Ja und auch froh darüber, in Deutschland zu wohnen. Aber stolz darauf? Gar stolz darauf, ein Deutscher zu sein? Auf keine Fall. Auch egal, wie weit ich das runter brechen würde, Stolz kommt da nie auf. Weder bin ich stolz darauf, Niederrheiner zu sein, noch Kölner — was ich de facto auch gar nicht bin, da ich nur zugezogen bin).

An genau dieser Stelle fängt die von mir empfunden Abgrenzung an. Wenn ich im Zusammenhang mit den jüngsten Protesten und Gegendemonstrationen lese, man wäre stolz, dies oder jenes zu sein, bleibt mir nur das Kopfschütteln. In dieser Form des Stolzes, selbst wenn es noch so gut gemeint ist, steckt immer auch die Abgrenzung. Wenn ich stolz darauf bin, Weseler zu sein, dann werte ich absichtlich oder unabsichtlich diejenigen ab, die eben nicht Weseler sind — oder Köln um vor Ort zu bleiben.

Gerade im Zusammenhang mit Demonstrationen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verstehe ich dieses „stolz darauf zu sein“ überhaupt nicht. Im Grunde macht man nämlich damit genau das, wo gegen man demonstriert. Gleichzeitig schlägt man die Tür zu zu allem, was anders ist.

Auch gilt: Ängste anderer Menschen lassen sich nicht wegdemonstrieren. Man muss sie erstmal ernst nehmen, auch wenn man die dahinter steckende Haltung (zu Recht) ablehnt. Wichtig wäre, mit dem empfundenen Gegner zu sprechen, am besten ihn zu überzeugen. Das hört sich nicht nur furchtbar anstrengend an, es ist genau so. Allerdings bleibt uns auch keine andere Wahl. Denn wir leben, ob wir es wollen oder nicht, mit den anderen im selben Land, in der selben Stadt, ja vielleicht sogar im selben Haus.

Wenn man denn auf etwas stolz sein will, dann vielleicht darauf: anderen ein positives Menschenbild aufgezeigt und sie davon überzeugt zu haben, dass Fremde unsere Hilfe statt unseren Hass bedürfen.

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