Eine Lüge ist immer eine Lüge. Sie mag vielschichtig wirken, dazu dienen, andere zu schützen oder sich einen Vorteil zu verschaffen — sie bleibt stets eine Lüge. Die Wahrheit dagegen ist oft genauso unbequem wie komplex. Vielfach schwer zu vermitteln, stößt gerne auch auf Unverständnis. So viel vielleicht erstmal vorweg.
In Bezug auf Flüchtlinge habe ich mich hier im Blog schon mehrfach geäußert. Auch dazu, was ich von der Unterbringung in Turnhallen und ehemaligen Baumärkten halte. Nämlich gar nichts. Jeder Mensch, auch wenn er Schutz vor Verfolgung sucht, hat das Recht auf zumindest etwas Privatsphäre. Für mich ist das ein Stück Menschenwürde. Mir ist jedoch auch klar, wie groß die Probleme sind, geeignet Möglichkeiten zu finden. Nicht überall findet sich ein passendes Quartier. Und es gibt auch noch Anwohner, die sofort auf die Barrikaden gehen, wenn auch nur der leiseste Verdacht besteht, Flüchtlinge würde in ihrem Wohnumfeld untergebracht. Soweit ich weiß, lebt kein einziger von den derzeitigen Flüchtlingen mit seiner Familie in Köln-Hahnwald.
Auf einer Veranstaltung der deutschen PEN-Sektion machte sich in dieser Woche Günter Grass, deutsch Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger, Gedanken zur derzeitigen Flüchtlingspolitik. Das ist sowohl legitim als auch Aufgaben eines Schriftstellers, der mehr als nur auf der Unterhaltungsbühne tanzen will. Unbequemes auszusprechen gehörte immer schon zu den Dingen, die Grass gerne getan hat — zumindest solange s nicht um ihn selber ging. Aber unterlassen wir es bei der Thematik, im Dreck zu wühlen. Es wäre nämlich auch etwas, dem sich die Wahrheit häufig genug gegenüber sieht. Spricht man etwas aus, was an sich richtig ist, läuft man Gefahr, dass jemand etwas aus der Vergangenheit herauskramt, nur um einen zu diskreditieren — also versucht, die Wahrheit mit einer anderen Wahrheit zu ersticken.
Was aber hat Günter Grass gesagt, was genug Deutsche auf die Idee bringt, den Schriftsteller zu verstoßen? Grass sprach von Zwangseinquartierungen von Flüchtlingen. Damit sind ist nicht gemeint, den Flüchtlingen das Mitspracherecht bei ihrer Unterbringung zu entziehen. Ein solches gibt es erst gar nicht. Zwangseinquartierung, so wie Grass sie versteht, meint die Zuweisung von Flüchtlingen. In Wohnung, die deutschen Bürgern gehören, in dem sie vielleicht sogar selber leben.
Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges gab es schon mal eine Zwangseinquartierung in Deutschland, um die viele Flüchtlinge aus dem Osten unterzubringen. Zwar wurde gemurrt, letztendlich aber akzeptiert, dass man so helfen kann, helfen muss. Dabei ging es um rund 14 Millionen Menschen, die auf Hilfe angewiesen waren. Mit heute lässt sich das kaum vergleichen, denn nach dem Krieg ging es sehr vielen sehr schlecht. Die Not war groß, an allen Ecken und Ende. Man rückte zusammen, obwohl man selber nichts hatte.
Schaut man sich unsere Gesellschaft dagegen heute an, ist der Wohlstand quer durch die meisten Schichten kaum zu übersehen. Gerade das aber scheint die Bereitschaft, für andere einzustehen, erheblich zu senken. So sprachen sich 94 % der Leserinnen und Leser, die bei Focus Online an der Umfrage zum Thema teilgenommen gegen die Zwangseinquartierungen aus. Sie halte den Vorschlag von Grass für verkehrt. Ist er wirklich verkehrt? Stammt er vielleicht von Gutmenschen, die selber nach dem Sankt-Florian-Prinzip handeln und niemals einen Flüchtling in den eigene vier Wänden aufnehmen würden? Es sei in diesem Zusammenhang durchaus erlaubt zu fragen, welcher Flüchtlingsfamilie Herr Grass aktuell Quartier anbietet.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: im Kern haben Menschen wie Günter Grass und der PEN-Präsident Josef Haslinger recht. Wir haben eine „Mauer aus Geld errichtet“, mit der wir das Elend draußen halten wollen. Teilen tun wir gerne in den sozialen Netzen, rein virtuell versteht sich. Wenn es ans eingemacht geht, zeigen wir eine Härte, die unseren Vorfahren fremd gewesen sein muss. Vielleicht würden sie sich auch schämen für uns, wenn sie es noch könnten.
Kommen wir zurück zur Wahrheit, die wie bereits einleitend erwähnt komplex ist. Einfache Lösungen gehen selten Hand in Hand mit der Wahrheit. Zwang ist etwas, was bei den meisten von uns, mich eingeschlossen, zu einer Art allergischem Schock führt. Es ist kaum geeignet, die Akzeptanz für die Flüchtlinge, die dringend unserer Hilfe bedürfen, zu erhören. Zwang schafft keine Willkommenskultur, sondern das genau Gegenteil. Wünschenswert wäre es, dass die Äußerungen von Grass dennoch eine sachliche Debatte anstoßen, vielleicht auch, gerade mit Blick auf Weihnachten und unsere christlichen Wurzeln unsere Herzen und Häuser öffnen. Mehr als ein Stall mit Stroh hätten sicherlich auch einige Kölnerinnen und Kölner zu bieten.
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