Heute morgen kam mir eine verlotterte Gestalt auf dem Bahnsteig entgehen. Sie wollte mir keine Zeitung verkaufen oder einen Euro haben, sondern meine Stimme. Entsetzt erkannte ich, dass mir der FDP-Vorsitzende Cristian Lindern gegenüber stand. Einen kurzen Moment später wachte ich auf. Nicht schweißgebadet, aber mit einem Stirnrunzeln. Irgendwie kann sie einem schon leid tun, die FDP. Nach der Wahl in Sachsen am vergangen Sonntag ist sie auch dort auf dem Landtag geflogen. Damit sind die Liberale weder im Bundestag vertreten noch in der Hälfte aller Landesparlament. Zudem sind in keiner Landesregierung mehr vertreten. Wenn es bei der FDP eine Tendenz gibt, dann ist es eine Gerade, die sich dem Nullpunkt nähert — rasanter, als es den Mitgliedern lieb ist.
Wobei, für die andern Parteien sieht es auch wenig rosig aus. Zwar hat die CDU ihre Mehrheit halten können, muss dennoch geringe Verluste einfahren.
- CDU 39,4% (2009: 40,2%)
- SPD 12,4% (2009: 10,4%)
- FDP 3,8% (2009: 10,0%)
- Grüne 5,7% (2009: 6,4%)
- Linke 18,9% (2009: 20,6%)
- NPD 4,9% (2009: 5,6%)
- AfD 9,7% (2009: — )
Von den etablierten Parteien war es allein die SPD, die sich über einen mageren Stimmengewinn freuen kann. Alle anderen haben Verluste eingefahren. Erheblich, wie gesagt, die FDP — das die NPD herausgeflogen ist, sorgt vorbehaltlos für gute Laune. Dagegen hat es die „Alternative für Deutschland“ aus dem Stand heraus auf fast 10 Prozent geschafft. Leicht macht es sich derjenige, welcher die AfD an den rechten Rand schiebt. Es gibt genügend an ihrem Parteiprogramm, mit dem man sich kritisch auseinandersetzen kann und es auch sollte. Nur deren Erfolg allein auf Protestwähler zurück zu führen, greift zu kurz. Ob es einem passt oder nicht (wie mir), die AfD ist zu einer Größe geworden, mit dem (zumindest mittelfristig) bei bundesdeutschen Wahlen rechnen muss. Darauf muss sich die FDP einstellen, aber auch CDU und FDP. Alles andere wäre grob fahrlässig.
Betrachtet man das Wahlergebnis näher, fällt etwas besonders ins Auge.Die Wahlbeteiligung lag nur noch bei 48,5 Prozent (2009: 52,2%). Damit sind mehr als die Hälfte der wahlberechtigten Einwohner von Sachsen nicht zur Wahl gegangen. Anders gesagt, sie haben von ihrem Wahlrecht keinen Gebraucht gemacht. Dies steht ihnen durchaus zu, auch wenn es merkwürdig wirkt. Bürgerinnen und Bürger, die zum Teil über 40 Jahre lang in einer Diktatur gelebt haben, nutzen das Geschenk der Demokratie nicht und verzichten freiwillig auf ihre Stimme. Daraus lassen sich ganz unterschiedliche Schlüsse ziehen. Die naheliegendste Antwort ist immer die von der Politikverdrossenheit. Naheliegend, aber zu einfach, wenn nicht sogar falsch. Wenn Menschen nicht wählen wollen, dann ist das einfach so. Man kann sich tausend Gründe überlegen und in Aktionismus verfallen, um zu versuchen diesen Menschen Politik wieder näher zu bringen — ob das von Erfolg gekrönt ist, sei dahin gestellt.
Mit Politik muss man sich auseinandersetzen. Die meisten komplexen Zusammenhänge haben eben nun mal weder eine einfache Antwort noch eine einfache Lösung. Sicher, Entscheidungsprozesse ließen sich transparenter machen. Und dann? Vielleicht das gesamte politische System auf den Kopf stellen, obwohl es sich im Großen und Ganzen bewährt hat? Ich denke nicht. An dieser Stelle (und wirklich nur an der Stelle) würde ich Politikerinnen und Politikern ein Teil des Standings wünschen, welches die katholische Kirche hat. Die Kirche versteht sich als Fels und nicht als Schwamm. „Die Kirche darf sich nicht verbiegen und sich nicht verbiegen lassen.“, heisst es. Darüber kann man diskutieren, aber man sollte es auch als Denkanstoß sehen, um über Politik nachzudenken. Es bringt nichts, den Nichtwählerinnen und -wählern hinterherzulaufen.