Krimis sollen, so heisst es, recht schnell zur Sache kommen. Mit anderen Worte, auf den ersten Seite gehört die erste Leiche. Mindestens. Aber wie das halt so ist mit regeln, sie werden auch gerne mal gebrochen. Von den Krimis, die ich in den letzten Monaten gelesen habe, dürfte „Schwarze Piste“ von Andreas Föhr der ungewöhnliches in dieser Hinsicht sein. In der ersten fünf Kapitel, angesetzt im Jahr 2008, gibt es keinen Toten, lediglich eine Entführung im Anfangsstadium.
Der Himmel am Morgen des vierundzwanzigsten September 2008 war grau, die Luft kalt und feucht. Der Monat hatte ungewöhnlich warm begonnen. Doch in der zweiten Hälfte waren die Temperaturen gefallen.
Aus: „Schwarze Piste“ von Andreas Föhr
Die ersten Sätze nicht dafür, den Leser zu fesseln. Eine Wetterbeschreibung, die selbst Ausgeschlafene zu einem herzhaften Gähnen verleitet. Durch die unaufdringliche Sprache hält sich aber die Konzentration aufrecht, so dass man bemüht ist, dem Krimi noch eine Chance zu geben. Die dem Buch in einigen Rezensionen vorgeworfenen Langatmigkeit scheint Absicht zu sein.
Mit dem sechsten Kapitel springt Andreas Föhr drei Jahre weiter. Die eigentlich Krimi-Handlung beginnt, die erste Leiche taucht dann auch „schon“ im achten Kapitel auf. Bis dahin wünscht man sich als Leser entweder ein Personenverzeichnis sehnlichst herbei — oder eine Demenz-Funktion auf dem E-Reader, bei dem automatisch während des Lesens ein Personenverzeichnis erstellt wird. Ich für meinen Teil musste mehrfach zurück blättern, bis mir die Figurenkonstellation einigermaßen klar wurde.
Wer überhaupt bis zum achten Kapitel vorgedrungen ist, muss schon ein besonderes Faible für das Setting haben. Oder aber, er hat den von Föhr ausgeworfenen Köder geschluckt. Dieser Köder sorgt auch im weiteren Verlauf dafür, dass man bei der Stange bleibt. Die Morden lassen einen mehr oder minder kalt, was auch dem Zustand der Leichen entspricht. Man liest eigentlich nur deshalb weiter, weil man wissen will, was damals vorgefallen ist. Immer wieder wir einem ein kleines Bröckchen vor die Füße geworfen, dazwischen Figuren, die blind durch das Setting stolpern, entlang noch leicht schimmernden roten Fadens. Würde man den Dialekt aus dem Buch streichen ebenso wie die Figur des Streifenpolizisten Kreuthner, der Krimi wäre nur noch eine dreifach gestreckte Fleischbrühe.
Selbstverständlich muss selbst in Lolkalkrimis das große Rad gedreht werden. Selten reicht eine simple Beziehungstat aus, da braucht man schön Serienmörder oder wie im Falle von „Schwarze Piste“ Verbindungen zu RAF. Plausible wird der Plot auf diese Weise nicht. Die Krönung ist jedoch das Ende. Ohne Vorwarnung zieht Föhr einen Mörder aus dem Hut, von dem man als Leser nicht mal geahnt hatte. Gleichzeitig wird auf diese Weise eine sympathische Hauptfigur zur Antagonistin. Sowohl gegenüber der Figur als auch dem Leser ist das mehr als unfair.
Wenn man den Krimi vollständig entkernt, ihn vom jedem Ballast befreit und auf sein nacktes Gerüst schaut, erkennt man bei aller berechtigter Kritik jedoch etwas besonders Gelungenes. Die Verschachtelung der Zeitebenen, der Rückgriff auf die Vergangenheit als Element, um die Spannung zu steigern, Aufrecht zu halten. Andreas Föhr liefert den Beweis dafür, wie leicht es sich auf Prologe verzichten lässt. Die Handlung vor der Handlung lässt sich auch anders unterbringen. Gerade dieser schreibtechnische Aspekt machte den Krimi zumindest für mich durchaus lesenswert. Die lange Liste positiver Rezensionen erklärt es allerdings noch lange nicht.