Nach einem Tag in Büro gehört Ruhe zu den Dingen, nach denen ich am meisten sehne. Selbst an freien Tagen, im Urlaub und an Wochenenden mag ich Stille um mich herum. Da ich ein noch immer normal funktionierendes Gehör habe, ist das mit der Stille und Ruhe leider nicht so einfach. Störfaktor Nummer eins sind, wie sollte es auch anders sein, die Mitmenschen besonders die spezielle Sorte „Nachbarn“.
Da ich auf dem Land groß geworden bin, die ersten 20 Jahre meines Lebens die nächsten Nachbarn in 300 Meter Entfernung wohnten, habe ich vermutlich eine etwas andere Wahrnehmung. Es soll Landeier geben, die sich mit voller Wucht in das Gewusel der Großstädte stürzen und mit Genuss in den Lärm eintauchen. Mein Sache ist das nicht. Für mich ist das Leben in einer Stadt wie Köln, trotz der angebotenen (kulturellen) Vielfalt, immer mit Einschränkungen verbunden. Die Luft ist schlechter als es mir lieb ist und es ist irgendwie immer laut. Zumindest dem Straßenlärm kann man, wenn man in die richtige Gegend zieht, entgehen. Bei dem Lärm, den Nachbarn erzeugen, sieht es dagegen anders aus. Die meisten Menschen in Köln wohnen in einem Mehrfamilienhaus, einige in Reihenhäusern. Was sich unterscheidet, ist nur die Anzahl der Nachbarn.
Idealerweise hat man rüstige, ebenfalls ruhebedürftige Rentnerpaare, die sechs Monate im Jahr im Urlaub sind als Nachbarn. Wobei das mit dem Urlaub auch wieder ein Nachteil sein kann, wenn man auf Grund eigener Berufstätigkeit jemanden zur Annahme von Paketen benötigt. Wer besonders viel Pech hat, befindet sich in einer Nachbarschaft, welche verdammt viel Ähnlichkeit mit der Vorhölle hat. Der Rest wohnt im ganz normalen „Wahnsinn“, durchfeiernde Studenten, Familien mit Kindern, asoziale Akademiker und ähnliches — Nachbarn wie du und ich halt.
Wer auf gute Nachbarschaft aus ist, dem wird es nicht immer leicht gemacht. Einfaches Beispiel. Eine fünfköpfige Familie, die über einem wohnt. Man sitzt am Schreibtisch im Arbeitszimmer, muss sich auf die Korrektur von Klausuren konzentrieren. Ohne Vorwarnung wummert von oben der Bass. Der Rotstift hüpft im Takt auf dem Tisch. Man wartet. Einen Moment, dann noch einen, in der Hoffnung es habe nur jemand versehentlich die Lautstärke falsch eingestellt. Das nächste „Lied“ spielt in gleicher Lautstärke. Entnervt steht man auf, steigt die Treppenstufen nach oben und klingelt. Vom Erziehungsberechtigten bekommt man als Antwort auf seine vorsichtig formulierte Beschwerde zu hören: „Dann zieh doch aus.“
Keine schöne Situation, vor allem wenn man selber lediglich Mieter der Wohnung ist, die Familie über einem jedoch in einer Eigentumswohnung lebt. Man hätte jetzt mehrere Möglichkeiten, den Rechtsweg eingeschlossen. Vielfach unterschätzt wird es, wie viel man mit darüber reden erreichen kann. Gut beim konstruierten Beispiel ist das Kind, beziehungsweise die Nachbarschaft bereits in den Brunnen gefallen. Dennoch könnte man sich bemühen, die Gegenseite zumindest zu verstehen. Vorausgesetzt, der Mensch hat sich nicht aus reiner Bosheit so verhalten (etwa weil eigentlich ein guter Bekannter die Wohnung unter ihm haben wollte), gibt es für seine harsche Reaktion bestimmt einen Grund. Etwas Küchenpsychologie würde hier weiter helfen. Es könnte ja sein, dass der Nachbar vorher mit seiner Familie bis zu dem Zeitpunkt, wo er sich die eigenen vier Wände leisten konnte, selber irgendwo zur Miete gewohnt hat. Dort gab es dann einen ganz besonderen Typ Nachbar, der sich bei wirklich jedem Anlass beschwert hat. Über den Kinderwagen im Treppenhaus, über Schuhe vor, über weinende Kinder auf der Straße, spielende Kinder hinterm Haus und natürlich auch darüber, dass die Kinder zu laut sein. So was verfestigt den Eindruck, von Kinderhasser umgegeben zu sein. Der Familienvater reagiert also deshalb so ruppig, weil er sich auf unangenehme Weise an früher erinnert fühlt.
An dem Punkt wird es erst recht spannend, denn ich als Opfer habe damit die Perspektive vollständig umgedreht und aus dem eigentlichen Täter selber ein Opfer gemacht, für das ich Verständnis aufbringen sollte. Dabei kann ich für die früheren Nachbarn nichts. Von meiner Warte aus will ich eigentlich nach wie vor nur meine Ruhe haben. Während ich versuche, Gründe für bestimmtes Verhalten nachzuvollziehen, kann ich dies auf der Gegenseite nicht erwarten oder voraussetzen. Auch hilft mir mein Verständnis wenig, wenn es nach wie vor im Arbeitszimmer laut ist.
Ein sehr primitiver Lösungsweg sieht so aus, Lärm mit Lärm zu bekämpfen (insbesondere dann, wenn Ohropax einfach nicht mehr ausreicht). Die eigene Musikanlage wird so weit aufgedreht, dass der Bass und alles andere von oben unter einem Klangteppich verschwinden. Das Bedauerliche an dieser Lösung sind die Folgen für die anderen Nachbarn. Wer links, rechts oder unter einem wohnt, bekommt es ab — und man selber kassiert möglicherweise eine Beschwerde. Was fehlt, ist ein echtes Patentrezept. Ich fürchte jedoch, dass es ein solches nicht gibt.
2 Kommentare
Ich habe mich mal interessehalber aus gegebenem Anlass bei der Polizei erkundigt, als eben besagte Musiklautstärke den ganzen Tag erklang – ich konnte dem netten Beamten zB. erzählen, wie der Wetterbericht, zu hören von einen Stock höher, gelautet hat.
Antwort: nein, muss man auch tagsüber nicht tolerieren.
Ich denke, rechtlich wäre es wirklich eindeutig — aber ich fürchte, das würde im Ergebnis das nachbarschaftliche Verhältnis nicht bessern. Insgesamt nährt das nur meinen Wunsch nach einer einsamen Berghütte oder einem Haus auf einer Hallig.