Einer der größten Irrtümer sich selber als intellektuell bezeichnenden Menschen jenseits der 40 ist es, die „guten alten Dinge“ immer auch für Kultur zu halten. Ein entsprechendes Kaufhaus ist in seiner Pseudoreligiösität zwar nett anzuschauen, hat aber ungefähr so viel mit Kultur zu tun wie — bitte den passenden Vergleich hier selber einsetzen.
Ganz ehrlich, ich mag Papier, das Gefühl einen echten Füller in der Hand zu haben und in ein Notizbuch zu schreiben, was weder vom Wühltisch noch stammt noch mit einer selbst Münchhausen übertreffenden Legende ausgestattet ist. Jedes Ding hat seine Zeit. Dieser Spruch war gut, ist gut und wird auch weiterhin gut sein, weil er seine Gültigkeit nicht verliert.
Als den Worten zugetaner Mensch schreib ich oft und viel. Im Mittelpunkt steht beim mir vor allem der Kontext, also wofür ich schreibe. Manchmal lässt sich mit Stift und Papier etwas schnell notieren, öfter aber greife ich zu elektronischen Hilfsmitteln. Das liegt vor allem daran, wie ich mit dem Text weiter verfahre. Einen Blogartikel zum Beispiel mit der Hand vorzuschreiben hat sicher was nostalgisches, ist aber vom zeitlichen Aspekt her eher ungünstig. Den Einwand, vielleicht dadurch weniger Fehler in meinen Texten zu haben, lasse ich nicht gelten, denn beim abschreiben schleichen sich enorm viele Buchstabendreher ein. Ich weiss es, weil ich einen ganzen Monat lang das ausprobiert habe.
Was mich überhaupt dazu veranlasst über die Art des Schreibens nachzudenken, ist der Artikel von Giesbert Damaschke „Zurück zum Papier!„. Für sich hat er die Entscheidung getroffen, wieder mit Notizbuch und Papier zu arbeiten. So was kann man durchaus machen, wenn es einem persönlich liegt. Wenn man aber ein Quasi-Manifest daraus macht, ist das ein Fehdehandschuh, den ich nur zu gern aufgreife.
Für Damaschke sprechen folgende Gründe gegen ein Smartphone und für die rein analoge Methode:
- hakelig bei der Eingabe
- Notizen werden versehentlich gelöscht
- Gerät ist kaputt, wenn es runter fällt
- Notizbuch ist schneller einsatzbereit
- Gerät benötigt Strom
- Notizbuch wird nicht geklaut
Fangen wir mal an, uns die Argumente näher anzusehen. Sicher verlockt ein herrenloses Smartphone, „versehentlich“ in Kneipen oder Cafés mitgenommen zu werden. Ein herumliegendes Notizbuch jedoch macht auch neugierig. Zudem kann man es verlieren. Passiert mit das mit dem Smartphone ist das Gerät weg, aber nicht meine Daten.
Sicher, ein Smartphone benötigt Strom. Allerdings, wenn ich das Gerät ehedem immer bei mir habe, ist das eher ein nebensächlicher Aspekt. Für mich ist ein Smartphone das bessere Notizbuch, weil ich nicht Notizbuch, Stift und Smartphone mitnehmen muss, sondern das Smartphone allein reicht aus.
Was ich befremdlich finde, ist der Punkt, wo Damaschke glaubt, ein Notizbuch sei schneller einsatzbereit, weil er für das Schreiben eines Textes beim Smartphone folgendes machen muss;
Denn dafür müsste ich das Smartphone zücken, einschalten, entriegeln, zur passenden App blättern, die App starten, eine neue Notiz anlegen, um dann endlich über die Displaytastatur den Text zeichenweise zu buchstabieren […]
Also, das Notizbuch muss ich auch zücken. Entriegeln wäre parallel zum Gummiband entfernen und die Seite aufschlagen ist wie eine App aufzurufen. Wer sein Smartphone vorher noch einschalten muss, bei dem fehlt es möglicherweise ein technischem Grundverständnis. Niemand in meinem Freundes- und Bekanntenkreis schaltet sein Smartphone aus. Vor allem nicht, wenn er unterwegs ist. Mit der virtuellen Tastatur bin ich genauso schnell wie mit dem Stift. Und wer Apps wie Drafts kennt, weiss, wie schnell damit die Texteingabe gehen kann.
Das Smartphone verträgt keine Stürze auf dem Boden. Stimmt, in dem Punkt muss einknicken. Da ist das Notizbuch wirklich besser. Es sei denn, man kippt ein Glas Bier oder Wein versehentlich drüber.
Versehentliches löschen ist etwas, was in einem Notizbuch nicht passiert. Beim Smartphone kommt es drauf an, wie sicher der Anwender im Umgang mit dem Gerät ist. Und welche Apps er verwendet. Programme, die in der Dropbox oder in Evernote speichern, habe einen großen Vorteil, denn sie bringen eine Versionierung mit. Selbst wenn ich etwas versehentlich lösche, kann ich es wieder herstellen.
Hakelige Eingabe. Nun, wenn man bei über 200 Stundenkilometer im ICE handschriftlich etwas notiert, sieht es nicht immer besonders leserlich aus. Wie gesagt, ich habe in den letzten vier Jahren unterschiedliche Methoden im jeweiligen November getestet, wenn ich mein Romanmanuskript geschrieben habe. Einen für mich nennenswerten Vorteil von Stift und Notizbuch konnte ich nicht erkennen, im Gegenteil.
Letztendlich sollte auf die Weise schreiben, die im persönlich am besten liegt. Es gibt hier weder ein Richtig noch Falsch. Wer sich auf den Standpunkt stellt, nur mit der Hand Geschriebenes sei wahrhaft und flüssig (wird in einen der Kommentare behauptet), sollte gut überlegen, was er von sich gibt. Denn so gesehen müsste man dann selbst auf mechanische Schreibmaschinen verzichten. Dumm ist so eine Aussage auch aus kultureller Retrospektive. Keilschrift schrieb man nicht durchgehend flüssig. Aber das nur am Rande.
2 Kommentare
Du weisst schon, dass Du mit diesem Kommentar Deine Werke der Vergessenheit anhei schickst?
Mhm, verstehe ich nicht, das müsstest du schon etwas erklären.