Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Zum dritten Mal Bundeskanzlerin. Gegen Angela Merkel stimmten gestern nur 23 Abgeordnete aus dem Koalitionslager. Ob das Regieren mit der SPD ein Zuckerschlecken wird oder nicht, wird sich zeigen. Die SPD hat sich viel vorgenommen, es sogar geschafft, die eigene Basis zu überzeugen. Diese gab ihr dann ein Carte blanche.

Es empfiehlt sich in jeden Fall, sich zumindest eine digitale Version des Koalitionsvertrags zu sichern. Um zu vergleichen, was von den Versprechungen tatsächlich umgesetzt wird. Als kompakte Leitlinie mag hier auch die „Handschrift“ der SPD gelten:

    • einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro ab 2015
    • mehr Tarifbindung und damit bessere Tariflöhne
    • gleicher Lohn für gleiche Arbeit und die Eindämmung von Leih- und Zeitarbeit und des Werksvertrags-Unwesens
    • die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren (mit Zeiten der Arbeitslosigkeit!); für Ältere beginnt der Ausstieg mit 63 Jahren, für Jüngere mit 64 bzw. 65 Jahren
    • eine Verbesserung der Renten für Erwerbsgeminderte, ein konkreter Fahrplan für die Angleichung der Renten in Ost und West sowie eine Mindestrente von rund 850 Euro für langjährig Versicherte mit niedrigen Einkommen
    • mehr Gleichberechtigung von Frauen durch ein Entgeltgleichheitsgesetz und eine gesetzliche Quote in Aufsichtsräten
    • eine sozial verträgliche und bezahlbare Energiewende
    • 6 Milliarden Euro mehr für Kitas, Schulen und Hochschulen
    • 5 Milliarden Euro mehr pro Jahr für die Kommunen im Rahmen der Entlastung der Eingliederungshilfe
    • eine Mietpreisbremse und mehr Mittel für Städtebau
    • 5 Milliarden Euro mehr für die dringend benötigten Investitionen in die Ver-
      kehrsinfrastruktur
    • 4 Milliarden Euro mehr für die bessere Pflege und mehr Pflegekräfte
    • die Abschaffung des „Optionszwangs“ für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder
    • die strikte Regulierung der Finanzmärkte und Banken
    • die Durchsetzung der Besteuerung der Finanzmarktspekulationen
    • die stärkere Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und Initiativen für mehr Wachstum und Beschäftigung in Europa
    • Mehr Transparenz und keine Rüstungsexporte mehr in Spannungsgebiete und an Diktaturen

    Quelle: SPD, Mini-Broschüre

    Skepsis ist angebracht, ob die Punkte in den nächsten vier Jahren wirklich alle umgesetzt werden. Vielleicht aber geht es der Parteispitze gar nicht darum, sondern um etwas ganz anderes. Der Kölner Stadt-Anzeiger deutete gestern bereits das an, was ich für meinen Teil auch schon vermutet habe. In vier Jahren möchte Sigmar Gabriel als Kanzlerkandidat antreten. Kann er machen, aber für so einen Kanzlerkandidaten werde ich garantiert keinen Straßenwahlkampf machen.

    Auch nicht für Andrea Nahles, die sich gestern nach ihrer Vereidigung wie folgt stolz äußerte:

    Ich bin 43 Jahre alt und Arbeitsministerin.

    Von wegen Inhalte. Ehrlich wäre es gewesen, man hätte vor dem Mitgliederentscheid gesagt, wer welchen Posten bekommt. Aber die Genossen an der Spitze sind nicht dumm, sie wussten, dass dann das Abstimmungsergebnis ein anderes gewesen wäre — möglicherweise, zumindest.

    Zu fürchten ist auch, dass selbst diejenigen, die der FDP ihren Sturz aus dem Bundestag gegönnt haben, ihr noch mal nachweinen werden. Eine Opposition, die auch etwas bewirken kann, gibt es in nächster Zeit nicht im Bundestag.

    Heute gedenkt die SPD dem 100. Geburtstag von Willy Brandt. So jemanden in den eigenen Reihen gehabt zu haben, kann einen stolz machen. Bei allen Verdiensten von Brandt: es nützt der Sozialdemokratie in Deutschland nicht, wenn man sich immer nur auf die Verdienste der Vergangenheit beruft. Um das Überleben zu sichern, wäre es dringend geboten, sich der Zukunft zu zuwenden. Anders gesagt, benötigt die Partei an der Spitze dringen neue Gesichter. Wer in vier Jahren mit neuem Personal in den Wahlkampf ziehen möchte, muss es rechtzeitig aufbauen. Oder aber er will genau das nicht, sondern selber an der Macht bleiben. Und genau das befürchte ich.

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