SPD-Parteitag in Leipzig. Natürlich ist jemand aus der letzten Reihe des Fußvolks wie ich nicht dabei. Kann man bedauerlich finden, hat aber auch Vorteile. Aus der Distanz betrachtet man die Dinge anders. Emotional gehaltene Reden wirken in gedruckter Form deutlich anders. Abgesehen davon braucht ich niemanden, der sich dafür zu rechtfertigen versuchen, warum er denn mit aller Gewalt eine große Koalition will.
Die Signale aus Leipzig lassen sich auf unterschiedliche Art und Weise deuten. Dennoch steht fest, dass es keine Revolution gab. Allerdings gab es schon die eine oder andere Erschütterung. Parteichef Sigmar Gabriel wurde mit 83,6 Prozent der Delegiertenstimmen wiedergewählt. Meiner Meinung nach immer noch deutlich zu viel, aber auch erheblich weniger als 91,6 Prozent von vor zwei Jahren. Eine schallende Ohrfeige, wie manch einer darin zu erkennen meint, ist es trotzdem nicht.
Die hat vielmehr Andrea Nahles heute mit 67,2 Prozent bekommen. Sicher kann man darüber diskutieren, legitim ist es trotzdem. Mich regen daher Aussagen wie die von Schatzmeisterin Barbara Hendricks auf:
So hättet ihr mit Andrea nicht umgehen sollen.
Liebe Barbara, SPD fängt zwar mit S an wie SED, aber dennoch gibt es einen himmelweiten Unterschied dazwischen. Selbst wenn der Parteitag der SPD in Leipzig stattfindet. Bei einer Wahl geht es nicht darum, Listenvorschläge abzunicken, sondern seine Überzeugung zum Ausdruck zu bringen. Und wenn über 30 Prozent der Delegierten der Meinung sind, Andrea habe einen schlechten Job gemacht, dann ist das möglicherweise nicht an den Haaren herbeigezogen.
Machen wir uns doch nichts vor, Genossen. Das schlechte Wahlergebnis unserer Partei wurde nicht plötzlich und unerwartet nachts vor unsere Haustür gelegt. Es hat sich über Wochen und Monate hinweg abgezeichnet, ohne das ein Kurswechsel statt fand. Selbst zwei Monate nach der Wahl mangelt es immer noch an echter Einsicht. Ein Fußballverein, der in der ersten Liga mitspielen will, würde in so einem Fall nicht nur den Trainer auswechseln, sondern weite Teile der Mannschaft. Genau das fand in Leipzig nicht statt. Als Motto des Parteitags hing fast sichtbar „Augen zu und durch“ über den Köpfen der Delegierten.
Mag sein, dass dies nur eine Gnadenfrist ist, die der Parteiführung eingeräumt wurde. Von einem Blankoscheck für die Koalitionsverhandlungen kann man jedenfalls nicht sprechen. Wie die Verhandlungen weiter laufen, wird sich zeigen. Für meinen Geschmack sind schon zu viele Kompromisse eingegangen worden, welche die Gesellschaft in den kommenden Jahrzehnten vor allem teuer zu stehen kommen wird.
Wer 100 Prozent des SPD-Wahlprogramms von uns erwartet, erwartet zu viel.
Sigmar Gabriel
Aussagen wie die von Gabriel sind nichts anderes als eine Bankrotterklärung. Man sollte Sozialdemokratische Partei davon Abstand nehmen, die Rolle einer Mehrheitsbeschafferin zu übernehmen. Ansonsten ist man nichts anders als eine FDP im roten Mantel. Und wo die FDP gelandet ist, wissen wir alle.
Vor ein paar Tagen bin ich über einen Artikel beim Deutschlandradio gestolpert: Große Koalition als Untergang der SPD
Thilo Schmidt bringt es gut auf den Punkt, wo von auch ich zu tiefst überzeugt bin. Und damit wäre wir dann wieder bei der bereits erwähnten Gnadenfrist. Die Basis sollte sich beim Mitgliederentscheid gut überlegen, welchen Kurs die Partei künftig einschlägt. Platzen die Träume der Parteispitze von einer großen Koalition, sind die Wahlen in Leipzig Makulatur.