Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Effektiver schreiben mit Editorial für iOS

Der NaNoWriMo naht und damit stellt sich wie jedes Jahr für Autoren die Frage, womit sie ihre Texte schreiben. Neben Stift und Papier gibt es eine Vielzahl elektronischer Helferlein. Die Antwort, welches Programm ich auf meinem stationären Computer verwenden, ist für mich dabei schon seit über drei Jahren die gleiche. Kein NaNoWriMo für mich ohne Scrivener.

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Unterwegs mit mobilen Geräten sieht die Antwort dagegen ganz anders aus. Wie viele begeisterte Nutzer von Scrivener warte ich schon seit über einem Jahr auf die Version der Software für iOS. Genau wie in den Jahren zuvor findet der NaNoWriMo aber eben im November statt, egal auf was man sonst so wartet oder hofft. Man brauch sich nicht weit aus dem Fenster lehnen wenn man sagt, auch dieses Jahr ohne Scrivener für iOS auskommen zu müssen. Zeit also für Plan B.

In der Vergangenheit habe ich einen von drei Romanen im NaNoWriMo unterwegs von Hand in ein Notizbuch geschrieben. Für mich hat sich das als ziemlich bescheidene Idee herausgestellt. Noch mal abtippen, um die Texte digital zur Verfügung zu haben, frisst zu viel Zeit. Die anderen beiden Jahren mit dem NaNoWriMo habe ich Notebooks für iOS verwendet. Die App hat mich dabei nie im Stich gelassen und ist in Bezug auf die Synchronisierung extrem zuverlässig.

Synchronisierung ist dabei ein wichtiger Punkt. Mein jeweiliges NaNoWriMo-Projket ist in Dropbox gespeichert. Zusätzlich gibt es einen Dropbox-Ordner, in dem Scrivener Nur-Text-Dateien anlegt, die mit meinem Schreibprojekt in Scrivener synchronisiert werden. Änderungen an den Textdateien wirken sich auf die Texte in Scrivener aus. Auf diese Weise kann ich unterwegs mit einem Texteditor wie eben Notebooks an meinen Texten weiter arbeiten.

Neben Notebooks gibt es viel andere Schreibprogramme für iOS (manche davon ausschließlich für das iPad), zum Beispiel Textkraft oder puristische Apps wie Byword. Richtig warm geworden mit denen bin ich jedoch nicht. In diesem Jahr hätte ich daher vermutlich auch wieder mit Notebooks den NaNoWriMo bestritten, wenn ich denn nicht über ein neues Programm namens Editorial gestolpert wäre.

Editorial entdecken

Während des Sommers las ich zum ersten Mal über Editorial auf ein paar deutschsprachigen Webseiten (wie Appgefahren, wo man recht lieblos darüber schrieb), die unter anderem über neue iOS Applikationen berichten. Schnell kam ich zu der Einschätzung, dass Editorial garantiert nichts für mich wäre. Schreiben kann ich auch mit dem, was ich habe. Und Workflows, komisches Zeug, brauche ich garantiert nicht. Also vergaß ich das Thema wieder. Dann aber, es war bereits August, stieß ich auf die Webseite MacStories von Federico Viticci. Dort gibt es einen hervorragenden englischen Artikel zu Editorial: Reinventing iOS Automation: Editorial Review. Aus Neugier las ich ihn und muss sagen, es ist der mit Abstand beste Artikel über Editorial. Zudem schreibt Viticci nicht nur anschaulich, sondern liefert auch viel Beispiele, wie sich Editorial einsetzen lässt (herzlichen Dank noch mal dafür an dieser Stelle!). Den Artikel habe ich mehr als dreimal gelesen — einfach deshalb, um die Fülle der Möglichkeiten, die Editorial bietet, überhaupt zu fassen.

Mehr als ein Schreibprogramm

Editorial nur als weitere Schreib-App zu bezeichnen wäre arg untertrieben. Das Programm ist weit mehr als das. Fangen wir aber vorne an. Das aufgeräumte Interface lässt sich mit Wischgesten bedienen. Ein Swipe nach rechts und man hat Zugriff auf die Dateiverwaltung. Editorial speichert wahlweise lokal auf dem Gerät oder aber in der Dropbox. Gelesen werden können sowohl reine Textdateien als auch Markdown. Mit einem Swipe nach links erhält man Zugriff auf die Vorschau für Markdown-Dateien, eine Python Konsole, die Hilfefunktion und den eingebauten Webbrowser, den man gut für die Recherche verwenden kann. Python Konsole? Darüber werden sich viele wahrscheinlich erstmal wundern. Der Entwickler von Editorial, Ole Zorn, ist auch verantwortlich für Pythonista, eine App, mit der man Python-Prgramme unter iOS laufen lassen kann.

Die Möglichkeit, die Funktionsvielfalt von Python nutzen zu könne wird kombiniert mit den so genannten Workflows, die man entweder für Editorial erstellen kann. Ein paar sind bereits in der App enthalten, weitere finden sich im Workflow-Verzeichnis. Workflows sind das Salz in der Suppe. Als Autor kann man damit Editorial an seine Bedürfnisse anpassen. So flexibel ist keine andere Schreibapplikation für iOS.

Workflows als Zauberstab für Autoren

Ein Workflow kann eine einfache oder komplexe Aufgabe sein, die Editorial auf ein Fingertipp hin ausführt. Von einfachem suchen und ersetzen bis hin zur Konvertierung eines Textes und automatischen posten auf dem eigene Blog mit anschließenden Info-Tweet bei Twitter — vieles ist denkbar und möglich. Der bereits erwähnte Artikel von Federico Viticci, der mittlerweile seine ganzen Tipps zu einem Buch zusammengefasst hat, ist hier sehr aufschlussreich. Mit Sicherheit wird es den einen oder anderen zuerst einmal überfordern. Genau so ging es mir auch. Je länger man aber über das Konzept hinter den Workflows nachdenkt, desto deutlicher sieht man die Möglichkeiten.

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Bei mir gibt eine Reihe von Funktionen, die ich bisher bei Notebooks vermisst habe. Schnell eine Anmerkung oder eine Fußnote in meinen Text einfügen, zum Beispiel. Auch wenn es sich bei den mit Scrivener synchronisierten Dateien lediglich um reine Textdateien handelt, geht dies über die entsprechende Verwendung von Klammern. Aus ((Anmerkung)) und {{Fußnote}} macht Scrivener entsprechend eine (inline) Anmeldung bzw. Fußnote.

Manchmal hadert man beim schrieben mit dem Satzanfang. In den letzten drei Jahren hatte ich daher immer einen Zettel mit 101 Satzanfängen. Bei Editorial ist das jetzt eine Textdatei, die mit einem Workflow verbunden ist. Eine Bewegung mit dem Finger und ich erhalte eine Vorschlagsliste, in der ich einen Satzanfang auswählen und einfügen kann. Gleiches gilt für Synonymen — wobei hier der Workflow etwas komplexer ist und eine Internetverbindung voraussetzt.

Die Namen meiner wichtigsten Figuren habe ich parallel zum Workflow für die Satzanfänge verarbeitet. Zusätzlich gibt es bei mir noch einen Workflow, der mir eine ganz bestimmte Notiz aus Evernote lädt und anzeigt (in der führe ich eine Art Ideentagebuch) und einen weiteren, in dem ich einen Text zu Evernote senden kann.

Workflow Beispiel

Einer meiner einfacheren Workflows besteht darin, eine einfache Textdatei zu laden und deren Inhalt als Liste zum auswählen anzuzeigen. Dabei ist es egal, ob es eine Datei mit Satzanfängen oder mit den Namen der Figuren ist. In jeder Zeile der Datei steht ein Name oder Satzanfang. Daraus wird dann später ein Listenelement.

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Im Workflow wird zuerst mit „Get File Contents“ auf die Datei zugegriffen. Der Inhalt der Datei wird an eine Variable mit „Set Variable“ übergeben, die dann in „Select from List“ verarbeitet wird. Zum Schluss steht dann die Aktion „Replace Selected Text„. Dadurch wird entweder markierter Text mit dem, was man aus der Liste ausgewählt, überschrieben oder aber, sofern nichts markiert ist, einfach nur das ausgewählte Element eingefügt. Da man auch noch mittels „Abbreviation“ Kürzel definieren kann, wird dann zum Beispiel beim schreiben von „nnn“ bei mir automatisch die Liste mit den Figuren-Namen eingeblendet, aus der ich einen auswählen kann.

Mein neuer Liebling

Selbst verrückte Dinge sind mit Editorial möglich, nämliche eine bidirektionale Anbindung an Evernote, also das Laden und erneute Speichern einer Notiz in Evernote. Editorial und die eingebauten Python-Module verstehen sich darauf, Markdown zu HTML umzuwandeln. Der umgekehrte Weg geht nicht — eigentlich. Denn es gibt durchaus Python-Module im Internet, die das können. Da man in Editorial Zugriff auf die Dropbox hat, muss man nur etwas basteln und schon lädt Editorial über die Dropbox das benötigte Modul, um aus einer HTML-Datei eine Markdown-Datei zu machen. Verrückt, aber es geht. Genau das ist es, was mir so unglaublich viel Spaß an Editorial macht. Für mich ist es der Scrivener-Effekt. Man muss sich nicht der Software anpassen, sondern kann die Software an seine Bedürfnisse anpassen.

Ausblick

Im Forum zu Pythonista und Editorial gibt Ole Zorn bereits eine Vorschau auf die kommende Version von Editorial. Für Autoren mit Sicherheit das beste Feature ist ein permanent sichtbarer Wortzähler (bislang kann man sich nur statisch die Anzahl der geschrieben Wörter anzeigen lassen). Zudem wird auch wieder TextExpander unter iOS 7 unterstützt — auch ein Werkzeug, was man als Autor kennen sollte. Bei den ganzen Möglichkeiten, die Editorial bietet, wird es die mobile Version von Scrivener, wenn sie denn mal verfügbar sein wird, bei mir schwer haben.

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