Straßenwahlkampf, wie auch Wahlstände in Fußgängerzonen haben immer denn Moment der Überraschung auf ihrer Seite. Mein weiß als Parteimitglied nie, was alles auf einen zukommt. Ganz wörtlich. Selbst wenn man das Wahlprogramm der eigenen Partei auswendig und fehlerfrei aufsagen könnte, gäbe es immer noch Irritationen. Zum Beispiel dann, wenn unvermittelt eine Frau vor einem steht und folgende Frage stellt:
Warum sollte ich als Freiberuflerin SPD wählen?
Gut dran ist der, dem jetzt spontan eine überzeugende Antwort einfällt. Mit der Spontanität, beziehungsweise Schlagfertigkeit, ist das so eine Sache. Meine ist es jedenfalls nicht. Einer der Gründe, warum ich lieber schreibe als rede, denn dabei kann ich mir lange genug Zeit lassen und meine Argumente abwägen. In der direkten Kommunikation kann man nicht mal eben die Szene einfrieren und sich dann in aller Ruhe eine Antwort überlegen. Der Moment selber ist schnell vorbei, man macht im günstigsten Fall einen klugen Gesichtsausdruck, schweigt aber sonst – hoffend auf Nachsicht.
Die Frage hat mich allerdings über den letzten Samstag hinaus beschäftigt, denn im Grunde genommen passt sie genau zu meinem Thema. Die genauen Vorteile für Selbstständige, wenn sie denn SPD wählen kennen ich nicht. Ich muss sie auch nicht kennen, denn genau das ist der springenden Punkt – und möglicherweise der Schlüssel für eine schlagfertige Antwort in Zukunft.
Die Frage sollte zunächst mit einer Gegenfrage gekontert werden. Nämlich die, ob man eine Partei grundsätzlich nur dann wählt, wenn man sich vor ihr einen eigenen Vorteil erhofft. Das schafft die Überleitung zu einer grundsätzlichen Diskussion. Gemeinwohl versus Eigenwohl. Wer nur auf sein Eigenwohl bedacht ist, für den ist die SPD sicherlich nichts. Da ist man bei anderen Parteien besser aufgehoben. Diejenigen aber, denen auch das Gemeinwohl am Herzen liegt, sollten dagegen in jedem Fall SPD wählen. Letztendlich, und das schließt dann den Bogen zur Fragestellerin wieder, profitiert auch jeder ganz individuell vom Gemeinwohl.
Beispiel Mindestlohn. Ohne einen flächendeckenden Mindestlohn müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, bei denen die Einkünfte aus ihrer Erwerbstätigkeit nicht reichen, aufstocken. Die Sozialtransferleistungen werden aus Steuergeldern bezahlt. Steuern, die auch die selbstständige Frau entrichten muss – auf die eine oder andere Weise. Der Mindestlohn würde dazu führen, dass es bei den Menschen der unteren Einkommensschicht wieder zum leben reicht, ohne das sie staatliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Die finanziellen Mittel des Staates könnten dann anderweitig verwendet werden. Möglicherweise kann dann eine Kindertagesstätte mehr gebaut werden, die fußläufig zur Wohnung der selbständigen Frau liegt, die zufällig auch allein erziehende Mutter ist.
Es lassen sich weitere Beispiele dafür finden, wie wichtig der Blick auf das Gemeinwohl ist. Genauso lässt sich auch mit dem Gegenpol argumentieren. Der ausschließliche Blick auf eigene Interessen (nicht nur bei der Wahl) schadet letzten Endes einem selber. Kurzfristig mag der Einzelne zwar von Steuersenkungen profitieren, was aber, wenn die Straße, in der wohnt, nachts auf Grund knapper Kassen nicht mehr beleuchtet werden kann? Oder die Polizei doppelte so lange benötigt, um ihm zur Hilfe zu eilen, weil zuvor erneut Personal abgebaut werden musste?
Keiner von uns lebt auf einer abgeschiedenen, völlig autarken Insel. Wir sind genauso auf die Gesellschaft angewiesen wie die Gesellschaft auf uns. Und die SPD auf unsere Stimme. Darum also sollte man als Freiberuflerin SPD wählen. Für eine sozialdemokratische Politik, die allen Menschen dient.
4 Kommentare
Hi,
„Gemeinwohl versus Eigenwohl“
Es gibt kein „Gemeinwohl“ sondern Interessen einzelner Gruppen, es läuft immer dabei hinaus, dass man durch Maßnahmen eine Gruppe „schädigt“ um es der anderen besser zu machen. Um z.b. den „Ärmeren“ etwas mehr zu geben, muss man die Steuerlast bei den „Reicheren“ erhöhen. Will man für Familien mit Kindern etwas tun, so muss man es auch bei den Kinderlosen holen. Gibt es Subventionen für Häuslebauer mit Solaranlagen, dann müssen die Mieter die Subventionen durch höhere Abgaben mitfinanzieren etc.
„Wer nur auf sein Eigenwohl bedacht ist, für den ist die SPD sicherlich nichts.“
Dir ist schon klar wer die Agenda 2010, die massiven Steuersenkungen und die Liberalisierung des Finanzmarktes durchgeboxt hat? Rot-Grün. Paradebeispiel einer neoliberalen Politik.
Wer für Hartz IV und die Agenda 2010 verantwortlich gewesen ist, habe ich nicht vergessen und werde es auch nicht. Das Problem sind die mangelnden Alternativen – nicht zur Agenda 2010 sondern zur SPD.
Was das Gemeinwohl angeht: das gibt es sehr wohl. Natürlich auch das Interesse von Lobby-Gruppen, ganz klar. Das Argument mit „schädigen“ ist eben genau der springende Punkt. Es greift zu kurz. Solaranlagen, weiter gedacht, nützen dem Klima. Und von einer ausbleibenden Klimakatastrophe profitieren alle.
„Solaranlagen, weiter gedacht, nützen dem Klima. Und von einer ausbleibenden Klimakatastrophe profitieren alle.“
Wenn die Solaranlagen so toll sind, warum beteiligen sich nicht alle daran? Warum dürfen nicht auch Mieter Solaranlagen installieren und von der Förderung profitieren? :-)
Die Reichen kassieren die Solarförderung und der Geringverdiener, der zu Miete wohnt, darf das mitbezahlen und wird mit „hey, sei ruhig, du darfst das Klima retten“ abgespeist. Ich weiß nicht wie du das siehst, aber unter dem Begriff Gerecht würde ich das nicht einsortieren.
Gerechtigkeit ist noch mal ein ganz anderes Thema. Es hängt aber, zumindest so wie ich es empfinde, stark mit dem Allgemeinwohl zusammen. Ungerechtigkeit sorgt für Zuständen in einer Gesellschaft, die sie auseinander brechen lassen. Wer sich ausgegrenzt fühlt, wird sich irgendwann gegen den Rest wenden. Mit der Folge, dass die auf der anderen Seite der Schere sich immer stärker abschotten müssen.
Ich denke, im Grunde denken wir in die gleiche Richtung: eine gerechte Gesellschaft, in der man gerne lebt. Die Frage ist nur, wie und mit welchen Mittel sie sich erreichen lässt. Der Ist-Zustand derzeit zeigt aber, dass wir vom Soll noch weit entfernt sind.