Immer wieder bekomme ich zu hören, ich sollte mich doch nicht so aufregen. Das kann man ruhig mehrfach sagen, es funktioniert bei mir nicht. Dabei ist es keine genetische Disposition, sondern Erziehung.
Bis zur Einschulung und darüber hinaus habe ich viel Zeit beim meinen Großeltern verbracht. Ein ganzes Stück weit hat mich deren Erziehung geprägt. Bestimmte Ansichten, Verhaltensweisen und anderes lässt sich ganz klar auf ihren Einfluss zurück führen. Ganz besonders fällt mir das bei den Dingen auf, die man meiner Meinung nach einfach nicht macht, weil es sich nicht gehört. Genau, „das gehört sich nicht“, einen Satz aus meiner Kindheit.
Manche Ansichten allerdings übernahm ich nicht von meinen Großeltern, sie würden revidiert durch die liberalere Weltsicht meiner Eltern – zum Glück. Ziemlich gut kann ich mich an ein Karneval erinnern, siebte oder achte Klasse muss es gewesen sein. Meine Eltern waren mit meinem Bruder weg (das Wohin entzieht sich meinen Erinnerungen), ich genoss wieder die Aufsicht durch meine Großeltern. In weiten Teilen mochte ich es wirklich, bei meinen Großeltern zu sein. Es hatte etwas von einem Einzelkindgefühl. Ein paar Sache durfte ich auch, die ich zu Hause nicht durfte. Erhielt großzügig Taschengeld, Yps-Hefte von meinem Opa gekauft, die mein Vater ablehnte und vor allem samstags abends gab es Malzbier, Toastbrot und Hähnchenfleisch. Das Hähnchen musste ich nie selber rupfen, sondern bekam von meiner Oma das weiße Fleisch in mundgerechten Stücken serviert – darunter leidet meine Frau mittlerweile, weil mich das ziemlich verdorben hat in Bezug auf gebratene Hähnchen und Hühnchen.
Zurück aber zum Karneval. Eingeladen war ich zu einer Feier bei einem Mitschüler, zu der die ganze Klasse inklusive Lehrerin kommen sollte. Verkleiden wollte ich mich als Frau. „Junge, das gehört sich nicht!“, hieß es von meiner Großmutter und die ließ nicht mit sich diskutieren. Karneval hin oder her, sowas tat man einfach nicht, sich als Frau zu verkleiden, wenn man doch ein Mann (damals noch ein Junge war). Ich musste dann als Schmalspur-Bergsteiger, sprich Wanderer gehen. Eine Verkleidung, mit der ich wirklich lächerlich machte. Der Trost meiner Eltern half mir später darüber hinweg, zum Glück.
Ich sprach aber auch von Ansichten, die ich übernahm und welche ich für richtig halte. Sachen, die man einfach nicht tut, weil man sich entsprechen zusammenreißen und benehmen sollte. Dazu gehört auch der feine Unterschied zwischen Supermarkt und Restaurant. Mir fällt das deshalb alles wieder ein, weil ich gestern beim REWE einen Mann, um die sechzig, sah, bei dem ich einfach nur den Kopf schütteln konnte. Verkniffen habe ich mir einen Kommentar, weil ich mittlerweile gelernt habe, wie allergische Kölner auf Erziehungsversuche reagieren. Meine Großmutter hätten ihn wohl zurechtgewiesen – und dazu hätte sie allen Grund gehabt.
Mit der einen Hand schob er seinen Einkaufswagen vor sich her, während er in der anderen ein angebissenes Mettwürstchen hielt, dazu noch ein Stück der aufgerissenen Tüte von der Fleischtheke. Als ob das nicht bereits genug wäre, griff eher bei dem Regal mit den Saucen zu einer Tube Senf, öffnete diese und spritzte sich was davon auf die Wurst.
Mir ist es ganz egal, ob er das später bezahlt oder nicht. So was gehört sich einfach nicht. Im Supermarkt bezahlt man erst die Ware, dann kann man sie verzehren oder sonst was damit machen. So groß könnte man Hunger niemals sein als das ich nicht die paar Minuten bis nach der Kasse warten könnte. Beherrschung, nennt sich das. Und Gier das Andere.
Erziehung ist eben immer auch Glückssache.