Zwei Krimis in zwei Wochen zu lesen, ist keine besondere Leistung. Der wesentliche Teil der Herausforderung bestand jedoch darin, bis zum Ende durchzuhalten. Beim zweiten Buch hatte ich nach dem ersten Viertel keine Lust mehr weiter zu lesen. Zu unterschiedlich waren die Krimis. Nicht nur in der Handlung, sondern auch in der Qualität.
„Blutlinien“ trat gegen „Das Dorf der Mörder an„, Titel die Spannung versprechen. Bei beiden hatte ich das Vergnügen, eine Lesung durch die jeweilige Autorin miterleben zu dürfen. Aber nur ein Buch hielt, was die Lesung versprach. Vielleicht wird es als ungerecht empfunden, die beiden Krimis miteinander zu vergleichen. Ich für meinen Teil halte es für gerechtfertigt, zumal man von beiden Büchern etwas lernen kann, wenn man selber die Absicht hegt, Krimis zu schreiben. Von dem einen könnte man lernen, wie man prägnant und spannend schreibt. Von dem anderen, wie man es besser nicht macht, oder aber, wie man eine Handlung in guten Absichten ersäuft.
Um die Härte hinter meinen Wort nachvollziehen zu können, sollte ich die Reihenfolge aufzeigen, in der ich die beiden Krimis gelesen haben. Zuerst „Blutlinien“ von Myriane Angelowski, dann „Das Dorf der Mörder“ von Elisabeth Hermann. Von Myriane Angelowski kannte ich bereits das großartige „Finkenmoor„. Bei Frau Hermann verließ ich mich dagegen auf den Eindruck, den ich von ihr und ihrem Krimi durch die Lesung hatte.
Nehmen wir die Spannung im Gegensatz zu Genre gleich vorweg raus. „Blutlinien“ ist mit Abstand der bessere Krimi. Besonders bewusst wurde mir das durch den direkten Vergleich, den ich durch das zeitnahe hintereinander lesen beider Bücher hatte. Wobei ich zunächst erstmal etwas enttäuscht von „Blutlinien“ war. Das liegt vor allem an der Qualität von „Finkenmoor“ der gleichen Autorin. Es dauert einige Seiten, bis man merkt, dass „Blutlinien“ ein anderes Werk ist und eine andere Ebene anspricht. Im Vordergrund steht nicht mehr eine deutliche Frage, nämlich die, wie weit man gehen würde, sondern Polizeiarbeit. Das eher typische Muster eines kriminalistisch angelegten Krimis. Insofern wäre dann „Finkenmoor“ die Ausnahme, da „Blutlinien“ der dritte Köln-Krimi mit der Ermittlerin Lou Vanheyden ist.
Vom Großen zum Kleinen. Was einem beim lesen sofort auffällt, ist der Schreibstil von Myriane Angelowski. Ein unprätentiös Sprache, die der Handlung untergeordnete ist. Das sorgt für einen besonderen Beat beim lesen, saugt den Leser in die Geschichte so hinein, dass er einfach weiter lesen muss. Man kann den Krimi nicht einfach aus der Hand legen. Nur gelegentlich gibt es Stolpersteine, wenn zum Beispiel Abkürzung der Polizei verwendet werden oder aber sich die Autorin vermutlich unabsichtlich direkt an den Leser wendet:
Wir müssen alles in Betracht ziehen. Wie Sie wahrscheinlich wissen, sind die meisten Verbrechen Beziehungstaten.
Quelle: Myriane Angelowski, „Blutlinien“
Meinem persönlichen Sprachgefühl zu Folge würde man auch nicht „Du kannst ihn mit Ruhe wecken.“ sagen, sondern „Du kannst ihn in Ruhe wecken.“ – auch wenn das grammatisch vielleicht nicht korrekt ist.
Es irritiert mich in den meisten Krimis, und hier ist „Blutlinie“ keine Ausnahme, dass sämtliche von der Polizei verdächtigten Person sofort immer ihren Anwalt sprechen wollen. Wäre ich verdächtig, müsste ich in dieser Hinsicht erstmal passen. Das alles ist jedoch jammern auf hohem Niveau. Wirklich gestört haben mich zwei Dinge (Achtung, Spoiler!). Zu einen die Spuren, die der Mörder mehrfach hinterlässt und die überhaupt keine Rolle mehr spielen. Sie sind komplett irrelevant für die Handlung. Unverständlich, warum jemand, der peinlich genau darauf achtet, keine Spuren zu hinterlassen, einen Neopren-Anzug trägt, in der Wohnung der Opfer etwas trinkt und DNA-Spuren an Glas und Flasche hinterlässt – die dann nicht berücksichtigt werden.
Der zweite Punkt ist das Geschehen kurz vom Ende, die Szene, die im Haus von Lou spielt. Hier wird mittendrin abgebrochen, man erfährt es nur aus der Erzählung der Figuren nach dem der Mörder verhaftet wurde. Für mich ein Stück weit ein nicht eingelöstes Versprechen. Spannung wird aufgebaut, dann der Handlungsort gewechselt.
Zu Gute halten muss man hier jedoch, dass „Blutlinien“ ansonsten tadellos funktioniert. Selbst die am Anfang etwas wie ein Wikipedia-Eintrag wirkende Exkurs über die Nasca-Linien ist handlungsrelevant. Nur so lässt sich ansatzweise der Täter begreifen.
Also noch mal: volle Punktzahl für „Blutlinien“.
Kommen wir zu traurigen Teil. „Das Dorf der Mörder“. Beim lesen des Krimis habe ich mir verdammt viele Notizen gemacht. Meine Art, mich zu motivieren, weiter zu lesen, nicht aufzugeben. Elisabeth Herrmann ist eine routinierte Autorin – zumindest war das meine Erwartungshaltung. „Den Krimi kannst du dir „blind“ kaufen, da machst du bestimmt nichts falsch„, dachte ich mir. Die Kleinigkeiten, die mir bei der Lesung von Frau Hermann in Düsseldorf aufgefallen waren, hätten mich eigentlich stutzig machen sollen. Sie sind, gewisser Maßen, die Spitze des Eisbergs. Während Myriane Angelowski bei ihren Lesungen Szenen aus dem Zusammenhang reisst, um die Spannung zu erhöhen, scheint es bei Elisabeth Hermann, die ebenfalls so vorgeht, einen anderen Grund zu geben. Das was sie vorliest, wirkt im Rückblick über weite Strecken wie ein „Best of“. Ein Zusammenschnitt, eine dramatische Reduktion, die dem gesamten Buch gut getan hätte. Ihr Schreibstil wirkt schwülstig, überladen. Der Schreibdoktor würde bei Frau Hermann fortgeschrittene Adjektivitis diagnostizieren. Sicher gibt es durchaus Leserinnen und Leser, denen so was gefällt – ich gehöre definitiv nicht dazu.
Mir stößt bereits die dauernde Einmischung der Autorin in die Handlung auf, die sich mal mehr mal weniger deutlich zeigt:
Er trug die Uniform des Ostberliner Prekariats: Baseballkappe, Turnschuhe mit offenen, verdreckten Schnürsenkeln und eine weite, auf den Knöcheln schleifende Jeans.
Quelle: Elisabeth Herrmann „Das Dorf der Mörder.“
Es fehlt ganz klar auch die Konzentration auf das, was die Figuren wissen. „Menschen in weißen Overalls begannen, den weichen Boden Quadratzentimeter für Quadratzentimeter abzusuchen.“ – das ist niemals etwas, was aus der Sicht einer Polizistin erzählt werden würde, welche die Kollegen von der Spurensicherung kennt.
Abgegriffen Bilder sind ein weiteres Element, an dem ich mich immer wieder beim lesen gestoßen habe:
[…]mit den müden Zügen eines Menschen, der seinen Krug voll Elend und Leid schon bis zum Grund geleert hatte[…]
Quelle: Elisabeth Herrmann „Das Dorf der Mörder.“
Das könnte ich jetzt seitenweise weiterführen. Wie bereits erwähnt, es sind extrem viele Notizen beim lesen entstanden. Übertreibung, sinnlose Verweise, Worthülsen und Klischees. „Ihre Stimme war warm, weiblich und leise.“ Bergeweise Klischees. Daneben ärgert die eigenmächtige Handlungsweise einer der Hauptfiguren. Eine Polizistin, die eigenmächtig ermittelt, sich rechtlich bereits nicht mal mehr in einer Grauzone bewegt, ja sogar Akten stiehlt – für mich ist das mehr Fantasy-Literatur denn ein Krimi.
Und wenn wir schon mal dabei sind. Ein Unwetter als Ankündigung von Unheil. Bitte, so was tut man einfach nicht.
Den Schnapper im Schloss drückte sie mit ihrer Kreditkarte zurück.
Quelle: Elisabeth Herrmann „Das Dorf der Mörder.“
So was in amerikanischen Serien. Ich hab mir mal von deutschen Lockpickern sagen lassen, dass so was hierzulande nur zum zerbrechen der Kreditkarte führen würde.
Mach mir das Lesen eigentlich noch Spaß, fragte ich mich nach dem ersten Drittel. Die Antwort war deutlich: „Schon lange nicht mehr.“ Wer das Buch tatsächlich bis zum Ende durchgehalten hat, weiss, was hier gemeint ist. Im ganzen Buch gibt es nur einen einzigen wirklich guten Satz:
Wegen Hässlichkeit oder Pensionierung ausrangierte Grünpflanzen dämmerten auf dem Fensterbrett einem qualvollen Tod entgegen, denn ab und zu erbarmte sich jemand und kippte den Rest seines Kaffees in die staubtrockene Erde, was das Leiden nur verlängerte.
Quelle: Elisabeth Herrmann „Das Dorf der Mörder.“
Der rechtfertigt allerdings nichts den Kauf. Wer Enttäuschungen mag, wir sicherlich mit „Das Dorf der Mörder“ zufrieden sein. Allen anderen kann ich nur „Blutlinien“ empfehlen. Und wer das schon kennt, greift zu „Finkenmoor“. Sollte man von Myriade Angelowski bereits alles gelesen haben, hilft wohl nur, die Autorin zu bitten, möglichst rasch wieder ein neues Buch zu veröffentlichen.