Sommerzeit ist Urlaubszeit. Zumindest ist das die Arbeitshypothese. Tatsächlich wird es für meine Frau und mich wieder eine Zeit sein, die wir in der näheren Umgebung verbringen werden. Mit der derzeitigen Wohnung haben wir zwar das große Los gezogen, allerdings sind zwei Umzüge in nicht mal drei Jahren eine kostspielige Angelegenheit.
Für andere wäre der Umstand, im Urlaub nicht wegfahren zu können, etwas, was dem Weltuntergang auf dem Fuße folgt. Wir machen da kein so großes Drama drum. Es ist, wie es ist – ein ziemlich typische Haltung für Köln, die ich mir langsam angewöhne.
Es gibt allerdings noch einen anderen Grund, warum mir das Wegfahren wenig ausmacht. Ich bin schlicht und einfach nicht der Typ dafür. Früher, so sagt man, war ich weitere über weite Strecken ein ruhiges Kind. Es reichte, mich mit einem Buch irgendwo zu platzieren und ich war auf Stunden beschäftigt. Ferienfreizeit ohne Eltern führten in 50 Prozent der Fälle in eine Katastrophe und erforderten den beherzten Einsatz von Mutter und Vater, um mich aus den Fängen des Heimwehs zu befreien.
Mir konnte man damals auch schwer vermitteln, warum ich von zu Hause weg sollte, wenn es doch mit Büchern eine viel ungefährliche Art des Reisens für mich gab. Diese Haltung hat mich geprägt, auch wenn ich längst die totale Opposition gegenüber dem Verreisen aufgegeben habe. Fremden Kulturen bin ich zudem gegenüber aufgeschlossen. Andernfalls hätte ich es auch kaum 18 Jahre in Bielefeld ausgehalten.
Richtiges Fernweh, so meine bisherige Überzeugung, sei mir im Grunde unbekannt. Die Einsicht, dass dich damit falsch liege, habe ich Meike Winnemuth zu verdanken – und ihrem großen Los. Bekannt ist mir als Autorin der Süddeutsche Zeitung. Trotzdem bekam ich eher am Rande mit, wie sie bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und beschloss, einfach loszufahren. Ein Jahr jeden Monat eine andere Stadt auf der Welt nicht nur zu besuchen, sondern für vier Wochen in ihr zu leben.
Vor ein paar Wochen stieß ich in einer Buchhandlung auf „Das große Los“ – das Buch, welches Meike Winnemuth über ihre Weltreise geschrieben hat. Erst in dem Zusammenhang stieß ich zudem auf ihre Webseite. Vermutlich steckt bei mir die bereits beschrieben Beharrlichkeit dahinter. Reisen ist mir mehr Pflicht als Kür für mich. Dem Buch konnte ich trotzdem nicht widerstehen, obwohl ich garantiert kein Käufer und Leser von Reiselektüre bin. Typische Reiseberichte finde ich alles andere als spannend, insbesondere wenn der Schreiber nicht über die Perspektive des „normalen“ Touristen hinauskommt.
Bei Meike Winnemuth von Anfang an anders. Nicht nur, weil sie sich vier Wochen pro Stadt vorgenommen hatte, private Unterkünfte vorzog und in das Leben in den Ländern eintauchte, sondern weil sie ihre Berichte über die einzelne Orte ganz anders verpackte. Kein Reisetagebuch oder ein Best-of-Bericht, keine Anleitung zum nachreisen auf den Spuren anderer, sondern Briefe an Personen, die ihr wichtig sind. Briefe an Menschen, mit denen sie etwas verbindet. Diese persönliche Note macht einen großen Teil des Charmes aus, der vom Buch ausgeht.
Am Ende jedes Kapitel gab es nicht nur Fotos von unterwegs, sondern auch eine Liste mit zehn Dingen, die Meike Winnemuth durch die hinter ihr liegende Stadt gelernt hat. Spätestens im zweiten Kapitel, Buenos Aires, merkte ich, wie mich die Art zu schreiben und zu reisen gefangen hatte. Eine ganz andere Sicht auf die Dinge. Bei Buenos Aires merkte ich, als alter Verweigerer der spanischen Sprache, auch so richtig, was mir entgangen ist:
Im Spanischen gibt man sein Alter mit dem Verb tener an – haben, besitzen. Tengo cincuenta años. Nicht: Ich bin 50, sondern: Ich besitze diese 50 Jahre. Sie gehören mir. Das finde ich ein prima Konzept, mit dem Altern umzugehen: indem man es als Eigentum betrachtet. Als Vermögen, nicht als Mangel.
Quelle: Meike Winnemuth, „Das große Los“
Andere Kulturen als Bereicherung anzusehen, das schafft Frau Winnemuth spielend, ohne einen moralischen Zeigefinger. Einfach durch die Art, wie sie an die neuen Umgebungen heran- und mit den Herausforderungen umgeht.
Zum reisen gehört aber auch, zu wissen, was man an der eigenen Heimat hat. Der Autorin wurde das ganz besonders in Indien bewusst. Ein Ort wie Mumbai, für den der Begriff Armutselend bei weitem nicht ausreicht. Dieses Gefühl kenne ich selber noch zu gut aus dem Kenia-Urlaub. Die Fahrt vom Flughafen zum Hotel durch Mombasa. Die Bilder verfolgen mich noch bis heute.
„Das große Los“ ist weit mehr als nur eine Sammlung von zwölf Briefen aus zwölf Städten. Es ist eine Ermutigung, innezuhalten, auf den bereits hinter einem liegenden Weg zu schauen und sich zu fragen, ob man den gleichen Pfad zum bis zum Ende weiter verfolgen möchte. Oder ob man nicht lieber den Mut für Neues aufbringt. Dafür bedarf es mitunter weniger, als man glaubt. Die Erkenntnis von Meike Winnemuth am Ende des Jahres: eigentlich hätte sie den Gewinn aus der Sendung „Wer wird Millionär?“ nicht benötigt, um die Reise um die Welt anzutreten. Ihr Fazit am Ende des Buches
Es passieren die wunderbarsten Dinge, wenn man sie nur lässt.
Quelle: Meike Winnemuth, „Das große Los“
zeigt, worauf es ankommt. Daneben sind die 10 Dinge, die sie zukünftigen Weltreisenden empfiehlt, beachtenswert. Nicht für diejenigen, die in ihre Fußstapfen treten wollen, sondern es richtig verstanden haben und sich eigene Pfade suchen möchten.
Mir hat das Buch ausgesprochen gut gefallen. Und nicht nur das. Ein Stück weit hat es aus einem Stubenhocker und Bücherwurm einen weltoffeneren Menschen gemacht. Oder zumindest einen, der sich den nächsten Urlaub mittlerweile anders vorstellen kann.