Je nach Auslieferungszustand am frühen Morgen verbringe ich den größten Teil der Zugfahrt nach Essen entweder mit der Zeitung oder geschlossen Augen. Power-Napping bei 200 km/h.
Im ICE reicht der Platz für so was aus, die Sitze sind einigermaßen passabel und lassen sich, wenn man weiss wie, auch verstellen (rücksichtsvolle Menschen sagen vorher den hinter ihnen sitzen Mitfahrern Bescheid). Von daher besteht auch keine Notwendigkeit, seinen Kopf an die Scheibe anzulehnen. Ganz anders als in der S-Bahn. Wer sich die Fensterscheiben dort allerdings genauer ansieht, bekommt mitunter das Bedürfnis, bis zum Zielbahnhof doch lieber zu stehen.
Bisher bestanden „Werbung“ im Zusammenhang mit den Fenstern vor allem aus eingeritzter oder aufgeschimmerter „Kursprosa“. Vieles davon ist aus Gründen des Jugendschutzes nicht zitierfähig. Den hygienische Zustand der Fenster und die Tatsache, dass Menschen, die ihren Kopf gegen die Scheibe lehnen, dieses vor allem tun, weil sie müde sind, ignorierte man bei einem Feldversuch von Sky Deutschland vollständig.
Die Technik dahinter nennt sich „Bone-Conduction“ und wird unter anderem beim Cochleaimplantat verwendet (der Einsatz bei Gehörlosen ist nicht unumstritten). Das Gerät im Zug versetzt die Scheibe in Hochfrequenzschwingungen, die dann auf den Schädelknochen übertragen und schließlich im Gehirn umgewandelt werden. Zu einer Stimme, die nur die Person hört, welche gerade ihren Kopf gegen die Scheibe gelehnt hat.
Mich nerven im Zug bereits die Ansagen für das BordBistro. Weitere Werbung und dann noch in solcher perfide Form, finde ich extrem bedenklich. Selbst dann, wo von man eigentlich nicht ausgehen kann, wenn durch die Werbung die Fahrpreise sinken würden. Die Technik selber ist auch dazu geneigt, für einen kalten Schauder zu sorgen der einem über den Rücken läuft.
Eine Stimme im Kopf, die mir sagt, was ich tun soll. So was ist bedenklich. Vor allem dann, wenn die längerfristigen Auswirkungen dieser „Werbeform“ noch gar nicht erforscht wurden. Es gibt einen guten Grund, warum wir von der Natur mit Ohren ausgestatet wurden. Ohren, die wir verschließen können.
Würde die diese Form der Übertragung Schule machen, gäbe es auch noch ganz andere Nutzungsformen. Das muss nicht immer nur einfach Werbung oder entspannenden Musik sein. Vielleicht hört man eine Stimme im Kopf, die einen ermahnt, den Kopf nicht gegen die Scheibe zu lehnen. Gehorche! Allein schon um die Stimme loszuwerden, bleibt man dann aufrecht sitzen. Sicherlich auch eine Methode für saubere Züge. Und warum die Anwendung nur auf die Scheibe begrenzen? Es gäbe bestimmt noch andere Kontaktstellen.
Man erinnere sich an den Slogan „Entspannt ankommen – mit der Bahn!“ Entspannt bin aber auf keinen Fall, wenn ich mit Werbung und Information unterwegs abgefüttert werde – gegen meinen Willen.