Eine der Säulen einer demokratischen Gesellschaft ist die Rechtssicherheit. Die Bürger müssen auf die Beständigkeit des Rechts vertrauen können. Gleichzeitig ist die Gültigkeit des Rechts für alle Bürgerinnen und Bürger essentiell. Gibt es für bestimmte Gruppen oder Einzelpersonen innerhalb der Gesellschaft Ausnahmen, gefährdet das die Stabilität des gesamten Systems. Vereinbarungen müssen daher eingehalten, Rechtsbeugen oder Rechtsmissbrauch bekämpft werden.
In Deutschland ist der Staat auch für den Schutz von Minderheiten im besonderen Maße verantwortlich. Gleichermaßen muss jedoch die Akzeptanz des Mehrheitswillens durch die Minderheit vorausgesetzt werden. Gesetzt den Fall, bei der nächsten Bundestagswahl würde die CDU haushoch gewinnen und Angela Merkel damit erneut Bundeskanzlerin werden, so steht es dem einzelnen Staatsbürger zu, damit unzufrieden zu sein. Auch darf er seine Meinung kundtun, dagegen sogar protestieren. Ebenfalls kann er sich im Rahmen des Systems einbringen und versuchen, 2017 eine andere Mehrheit zu ermöglichen.
Dagegen wäre der Aufruf zur Gewalt, um die Bundesregierung zu stürzen, Versuche der Einschüchterung oder eine persönliche Bedrohung von Angela Merkel nicht legitim – und das ist auch gut so.
In der letzten Woche gab es zwei Ereignisse, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben und doch Diskussionsstoff bieten, wenn man sie versucht miteinander zu vergleichen. In Ägypten wurde ein demokratisch gewählter und somit durch die Mehrheit des Volkes legitimierter Präsident durch einen Militärputsch aus dem Amt gedrängt. Die Armee behauptet, die Demonstranten gegen den bisherigen Präsidenten Mursi wären repräsentative für den Willen der Bevölkerung.
Überträgt man das auf Deutschland, würden 500.000 Demonstranten in Berlin gegen die Bundesregierung von Angela Merkel dazu führen, dass die Bundeswehr ausrückt und den Bundestag auflöst. Natürlich hinkt der Vergleich. Er soll aber deutlich machen, wie schwer es ist, die derzeitige Situation in Ägypten zu beurteilen. Gerade im christlichen Teil Europas neigt man dazu, den Putsch positiv zu bewerten, denn schließlich richtet er sich gegen vermeintliche Islamisten. Das Militär wird als Garant für eine pro-westliche Ausrichtung empfunden. Das der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sich gegen den Militärputsch in Ägypten äußert, ergibt sich logisch aus seiner eigenen Situation und aus der Geschichte der Türkei. Dort hat sich das Militär lange Zeit als Hüterin der Verfassung gesehen.
Ortswechsel. Von der Weltpolitik zur Kommunalpolitik, von Ägypten ins Rheinland. In Köln soll das Autonome Zentrum in Kalk endgültig geräumt werden. Anfang Juli wurde mit Ablauf des Mietvertrages aus den Nutzern der ehemaligen KHD-Kantine Besetzer, wie der Kölner Stadt-Anzeiger in seiner Ausgabe vom 3. Juli schrieb. Geplant ist eine Neugestaltung des Areals durch die Stadt, das benachbarte Gymnasium soll erweitert werden – zumindest aus schulpolitischer Sicht keine falsche Entscheidung.
Das die Räumlichkeiten friedlich aufgegeben werden, wird in Köln niemand ernsthaft geglaubt haben. Selbst wenn sich die Besetzer der KHD-Kantine zur Friedfertigkeit verpflichtet fühlen, gibt es genügend Sympathisanten, für die genau das nicht zu trifft. Die bereit sind, Grenzen zu überschreiten.
Und die wurden in den letzten Tagen und Wochen eindeutig überschritten. Wenn Sitzung demokratischer Parteien nur noch unter Polizeischutz stattfinden können, wenn das Bürgerbüro des Kalker Landtagsabgeordneten bewacht werden muss, wie der Kölner SPD-Parteichef Jochen Ott im Interview mit dem KSTA feststellte, dann ist aus legitimen Protest bereits ein Rechtsbruch geworden. Ein entfachtes Feuer, welches auf Anderes übergreifen kann.
Die Verbreitung von Angst, das Einschüchtern anderer, anders denkender Menschen ist kein legitimes Mittel, sondern der erste Schritt zum Terrorismus. Daher ist auch der Angriff auf das Haus von Oberbürgermeister Jürgen Rotters mit Farbe und das Zukleben der Haustür mit Klebstoff keine Meinungsäußerung. Es ist eine Form der Gewalt, die daher zurecht Ermittlung der Polizei nach sich zieht.
Wer die Privatadressen von Politikern veröffentlicht mit der Aufforderung zu „farblichen Verschönerung„, hat seinen Platz am Verhandlungstisch im Grunde bereits verloren. Über den richtigen oder „falschen“ Umgang mit den Besetzern muss man auf dieser Ebene erst gar nicht diskutieren. Völlige Gewaltfreiheit ist die Voraussetzung, um gemeinsam nach einer Lösung zu suchen.
Türschlösser mit Uhu verkleben? Das ist doch Unfug, das hält doch gar nicht. Aber Spaß beiseite, Gewalt ist natürlich inakzeptabel.
Jürgen Becker im KSTA vom 5.7.2013, S.23
Jegliche Bagatellisierung oder Verharmlosung der Delikte dagegen ist ein eindeutiger Schritt in die falsche Richtung. Das Zitat von Jürgen Becker im Kölner Stadt-Anzeiger beschämt daher genauso wie das von Hermann Rheindorf.
Sicher wurde eine Grenze überschritten, man sollte die Sache aber nicht hochkochen.
Hermann Rheindorf im KSTA vom 5.7.2013, S.23
Eine unangemessen Relativierung betreibt Becker, der doch ansonsten als kluger Kopf gilt, da. Genauso wie Rheindorf scheint er das Verhalten der Sympathisanten als „dummer Jungen Streich“ zu sehen. Dabei ist das weit davon entfernt. Verständnis kann man zwar vorbringen wie Rheindorf, aber es gibt eben auch Grenzen. Und dies sind in diesem Fall überschritten worden. Einschüchterungen sind kein Mittel der demokratischen Auseinandersetzung.
Dem Staat wird häufig vorgeworfen, auf dem rechten Auge blind zu sein. Umgekehrt gilt dies nicht für einige Unterstützer des AZ, denn die scheinen ganz bewusst nicht hinsehen zu wollen. Ebenfalls auch die StadtRevue, bei der sehr deutlich wird, wo ihre Sympathie liegt. In einem Kommentar wurde nicht nur die „Kriminalisierung in Kalk“ angeprangert, sondern sogar indirekt die Umkehrung der Beweisleist gefordert. Schließlich könnte nicht belegt werden, so die Argumentation, „dass der Klebstoff-Anschlag […] aus dem direkten Umfeld des AZ kommt„. Als wäre Jürgen Rotters quasi selber Schuld. Das ist ein sehr eigenwilliges Rechtsverständnis. Es wäre Zeter und Mordio geschrieen worden, wenn die Haustür eines Redakteurs durch Sympathisanten von „Pro Köln“ zuklebt worden wäre. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen und genau das verträgt sich nicht im Hinblick auf die Stabilität einer Gesellschaft wie einleitend skizziert.
Der Protestzug am vergangenen Samstag ist, wie bei ksta.de berichtet wird, friedlich verlaufen. Dennoch bleibt der Beigeschmack. Das zeigt sich auch an Bildern wie dem eines von einem Lastwagen hängen Banners mit einer deutlichen Botschaft
Räumt ihr das AZ, füllen wir die Straße
Wieder eine, wenn auch etwas verstecktere, Drohung. Die Sprache des AZ wird auf deren Webseite deutlich. Hier wird in Bezug auf die Äußerungen von Rotters und Ott von einer „subjektive Bedrohungswahrnehmung einzelner Personen“ gesprochen. Durch die Wortwahl macht man selber deutlich, woran man wirklich interessiert ist. Eine einvernehmliche und langfristige Lösung ist auf so einer Basis nicht möglich.
Ganz bewusst werden Barrikaden errichtet, nicht nur sprachlich, sondern ganz handfest, um sich gegen die Räumung zu widersetzen. Repräsentanten der „Ordnungsmacht und des Staates“ werden Gegner und Bedrohung aufgefasst, was Widerstand in jeglicher Form rechtfertigen soll.
Experimente wie das AZ sind nur möglich, weil der Rest der Gesellschaft sich an die Spielregeln hält und die Bewohner beziehungsweise Besetzer nicht einfach von vorne herein mit Mistgabel vertrieben hat. Die Befürworter sollten sich dies bewusst machen. Autonomie bedeutet zudem Selbständigkeit. Autark, also unabhängig, kann das AZ gar nicht sein. Es ist immer in den Kontext der Gesellschaft eingebunden. Auf die Einhaltung der Spielregeln, die das Miteinander definieren, muss daher bestanden werden. Helfen Appelle nicht, sollte in aller Deutlichkeit geltendes Recht durchgesetzt werden. Allein schon um die Stabilität der demokratischen Grundordnung zu sichern.
Der Militärputsch in Ägypten und die Vorfälle rund um das AZ in Köln lassen sich, wie bereits festgestellt, keineswegs vergleichen. Es sind zwei singuläre Ereignisse. Und dennoch gibt es ein verbindendes Element. Wer auf die Einhaltung von Recht und Gesetz pocht, muss dies in beiden Fällen tun. Ein demokratisch gewählte Regierung ist keine Tyrannendiktatur. Der Putsch in Ägypten ist daher genauso illegitim wie der Verzicht auf eine freiwillige Räumung der KHD-Kantine.