Schauspieler aus erfolgreichen Filme beklagen sich manchmal, ihr Publikum hätte sie für alle Zeiten auf eine Rolle festgelegt. Selbst wenn sie etwas anderes spielen würden, würde man in ihnen immer die Figur sehen, die sie in Film XYZ gespielt hätten.
Was für Schauspieler gilt, trifft auch Autoren zu, die ein paar erfolgreiche Bücher in einem bestimmten Genre geschrieben haben. Viele Leser und Kritiker meinen, der betreffende Autor müsste diesem Genre bis an sein Lebensende treu bleiben und dürften sich nicht an anderes wagen. Tut er es doch, nimmt man es ihm nicht nur übel, sondern vergleicht sein neues Werk auch immer mit dem, was er vorher geschrieben hat. Ganz so, als ob ein Buch auf keinen Fall für sich selber stehen dürfte.
Insofern vergessen wir einfach, was Joanne K. Rowling sonst noch geschrieben hat. Und um es gleich vorweg zu nehmen: mir hat „Ein plötzlicher Todesfall“ ausgesprochen gut gefallen. Die Kritiken zum Buch habe ich mir vorab nicht durchgelesen, sondern erst hinterher. Sollte man vielleicht nicht unbedingt so handhaben, aber ich erlaube mir zuweilen ein eigenes Urteil. Interessant wird es dann, wenn man hinter liest, was zum Beispiel im Spiegel oder in der Zeit gestanden hat. Mir kam es gerade bei der Kritik Spiegel so vor, als hätte ich ein völlig anderes Buch gelesen.
Online kann man beim Spiegel fünf Gründe nachlesen, warum man „Ein plötzlicher Todesfall“ nicht lesen sollte:
- zu viel Sex
- zu simpel und zu gekünstelt
- zu realitätsfremd
- platte Figuren
- es sollte kein Kinderbuch werden
Mit Verlaub Herr Hammelehle, selten habe ich so einen Unfug gelesen.
Was das Thema Sex angeht, spielt „Ein plötzlicher Todesfall“ allenfalls in der Kreisliga. Der Geschlechtsakt selber wird nirgends beschrieben, Rowling belässt es bei Andeutung. Rowling setzt diese Szenen auch nicht als Tabubruch ein, sondern sie weigert sich zu leugnen, dass Sex nicht zum Alltag einer Figur gehört. Wer ein Problem damit hat, dass es zwei Jugendliche auf dem Friedhof „treiben“, der hat im Grunde noch ganz andere Probleme.
Die Sprach des Romans ist nicht simpel oder gekünstelt, sie unterwirft sich der Handlung, die bei Rowling im Mittelpunkt steht. Diese Art des Schreibens kann einem gefallen oder eben nicht. Sie entspricht aber durchaus eine gewissen Erzählttradition.
Realitätsfremdheit als Vorwurf an fiktionale Texte. Dazu muss man nichts sagen. Wohl aber zu den angeblich platten Figuren. Wer das Buch bewusst liest und nicht nur überfliegt um mit voller Absicht, einen Verriss zu schrieben, der wird erkennen, dass die Figuren von Rowling alles andere als platt sind. Meiner Meinung nach sind sie sogar ausgesprochen dreidimensional. Jeder der rund 20 Figuren hat ein eigenes Motiv, eigene Beweggründe und Geheimnisse. Rowling zeigt das sehr gut, schafft es auch, den Leser bei den schnellen Sprüngen mitzunehmen. Wer wirklich der Meinung ist, Krystal sei eine Art jugendliche „Cindy aus Marzahn“ sollte das Buch noch mal in Ruhe lesen. Die Figur ist weit aus mehr und hat Schichten ähnlich einer Zwiebel.
Der Autorin vorzuwerfen, sie hätte krampfhaft versucht, ein Buch für Erwachsen zu schreiben, ist lächerlich. Umgekehrt ließe sich sagen, dass ihr bisherige Erfolg sie in die Lage versetzt hat, ein Buch zu einem ihr wichtigen Thema zu schreiben. Und das Rowling dieses Buch wichtig ist, merkt man auf jeder Seite. „Ein plötzlicher Todesfall“ ist keinesfalls altbacken. Kai Rüsen bringt es im der Freitag gut auf den Punkt:
Tatsächlich […] bedient sich die britische Autorin des Stilmittels der rhetorischen Zuspitzung, um die heutigen gesellschaftlichen Zustände in Großbritannien zu geißeln.
Genau so sehe ich das auch. Wer über die kleine Ortschaft Pagford hinaus schauen kann, ist zu bedauern. Ebenso derjenige, für den „Ein plötzlicher Todesfall“ „ein kaltes Buch“ (Stefan Mesch in DIE ZEIT) ist.
Abschließend kann ich mich nur wiederholen. Rownling ist meiner Meinung nach ein großer Wurf gelungen. Pageford ist nicht Hogwarts und das ist auch gut so.