Beim Zähne putzen finde ich oft Zeit, um über merkwürdige Dinge nachzudenken. Gestern Abend grübelte ich, während der Bürstenkopf im Mund rotierte, darüber nach, wie viele Bücher ich dieses Jahr noch lesen kann.
Hauptsächlich lese ich Bücher, wenn ich mit dem Zug unterwegs bin. Das trifft an vier Tage in der Woche zu, die einfache Strecke ist etwa eine Stunde lang – manchmal schenkt mir die Bahn sogar etwas mehr Zeit zum schmökern. Nehme ich diese Zeit als Grundlage, berücksichtige dabei variierenden Seitenumfang der Bücher und mein Lesetempo, dann schaffe ich durchschnittlich anderthalb bis zwei Bücher im Monat.
Für dieses Jahr kam ich, abzüglich Urlaub und NaNoWriMo, in dem ich ausschließlich selber schreibe, auf 12 Bücher. Das ist nicht besonders viel, finde ich. Bei einem vollständigen Jahr wäre es etwa 20, bis zur Rente würde ich entsprechend maximal 500 Bücher schaffen. Der deutsche Buchhandel bringt rund 96.000 Neuerscheinungen jährlich auf den Markt, wovon die Hälfte aus dem wissenschaftlichen Bereich kommt. Im anderen Teil sind unter anderem Kinder- und Jugendbücher, Kochbücher und ähnliches enthalten. Nehmen wir mal an, es blieben 5.000 Bücher über, die mich potentiell interessieren würden. Das sind dann 5.000 neue Bücher pro Jahr, von denen ich nur 20 gelesen bekomme.
Aus einer bestimmten Perspektive heraus kann einen so etwas frustrieren. Zu wissen, dass man im Laufe seines Lebens nicht ansatzweise die Bücher gelesen bekommt, die man lesen möchte. Auf der anderen Seite bedeute es auch, sich wirklich verdammt gut zu überlegen, welche Bücher man noch im Laufe seines Lebens lesen möchte. Bei so einer großen Auswahl ist es eine ungeheure Verschwendung, ein schlechtes Buch wirklich zu Ende zu lesen und sich dabei zu ärgern. Anlesen, nachdenken, weglegen und nächstes Buch. Klingt verlockend, wenn ich nicht wüsste, dass es auch Bücher gibt, die erst nach dem man über die Hälfte des Romans gelangt ist, richtig gut werden.
Stellt man sich 500 Bücher physikalisch vor, sortiert die in der Wohnung in seine Regale, ist es eine riesige Menge. In der Relation jedoch ein Tropfen auf dem heißen Stein. Noch bevor ich bei der oberen Zahnreihe angelangt war, stellte ich mir selber die Frage, wie sich die Parameter verändern ließen. Ich bräuchte mehr Zeit zum lesen von Büchern. Auf die Tageszeitung verzichten, gar keine Filme mehr ansehen und so weiter. Richtig überzeugt hat mich das alles nicht.
Schlimmer noch empfand ich das, was ich dadurch anstieß. Unvermittelt (Zahnpasta ausspuckend) dachte ich daran, wie oft andere Dinge noch machen würde. Die Anzahl der Urlaube, in denen man auch wirklich verreist, die möglichen Spieleabende mit Freunden und so weiter. Für alles lässt sich eine Zahl finden. Schön ist das dann nicht mehr, wenn man das Leben so numerisch reduziert. Abhilfe schafft dann nur, etwas zu finden, was man noch unvorstellbar oft in seinem Leben machen wird. Da ich nicht nur gerne, sondern auch fast täglich koche, verschafft mir die dazu gehörige Zahl eine gewisse Beruhigung.
Beim Mund ausspülen schließlich fand ich zur Überzeugung, über manches einfach nicht nachdenken zu müssen. Ich lebe mein Leben von Buch zu Buch. Klingt viel schöner, wie ich finde.