Von allen guten und bösen Geistern verlassen

An manchen Tagen fällt es mir schwer, bestimmt Position der SPD zu verstehen. Vor allem dann, wenn es sich nur um die Meinungen einzelner handeln, die aus welchen Gründen auch immer öffentlich diskutiert werden.

Fangen wir aber anders an. Als Pendler weiss ich, dass es im ICE genau zwei Möglichkeiten gibt, mehr Beinfreiheit zu haben. Entweder man fährt erster Klasse, was zwar einen preislichen Unterschied macht, aber nicht für eine pünktlichere Verbindung sorgt. Oder man setzt sich in der zweiten Klasse an einen der Tische, die zwischen vier Sitzen stehen. Wer viel unterwegs ist, macht schnell die Erfahrung, wo der Haken bei dieser Konstellation ist. Die Beinfreiheit endet genau dann, wenn sich jemand gegenüber hinsetzt. Dann gibt es unter dem Tisch ein Gerangel, bei dem der Stärkere sein Territorium mit viel Körpereinsatz verteidigt.

SPD und Beinfreiheit, wer in den letzten Monaten nicht ganz hinter dem Mond gelebt hat, weiss, worauf das hinaus läuft. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, aber manchmal wäre es doch besser, vor einer Äußerung nachzudenken:

Wenn die Schulen es einrichten können, sollten sie da Rücksicht auf die religiösen Gefühle nehmen und getrennten Sportunterricht anbieten.
Quelle: tagesschau.de

In der selben Partei, der derjenige angehört von dem die obige Äußerung stammt, wird gleichzeitig folgendes diskutiert:

Der bisherige Ansatz der Integration, so Neumann, sei zwar wohlmeinend gewesen, habe aber keine Ausgrenzung von Menschen […] verhindert.
SPD NRW, zum Thema Inklusion

Unterricht, auch den Sportunterricht sollen Behindert und Nichtbehinderte gemeinsam erleben. Eben um niemanden auszugrenzen. Teilhabe ist hier das Stichwort – und nicht zu Unrecht.
Die Argumente, die für Inklusion ins Feld geführt werden lassen sich ebenfalls anwenden auch den gemeinsamen Sportunterricht von Jungen und Mädchen. Der FDP-Innenpolitiker Serkan Tören meinte zu der Äußerung von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, Sport nach Geschlecht getrennt zu ermöglichen:

Wer Jungen und Mädchen trennt, der spaltet die Gesellschaft. Getrennter Unterricht ist auch ein ganz falsches Signal für die Integration von Muslimen in Deutschland.

Genau so ist das zu betrachten. Die Gefahr der Aufspaltung kann nicht deutlich genug hervorgehoben werden. Vor allem sollte man immer bedenken, wo denn eine Grenze zu ziehen ist. Der Sportunterricht ist nur der Anfang, denn warum sollte im Biologieunterricht nicht Rücksicht auf religiösen Gefühle genommen werden? Sexualkundeunterricht und Evolutionslehre, gleich zwei Themen, bei denen sicher auch andere Religionen lieber heute als morgen Ausnahmeregelungen für sich in Anspruch nehmen würden.

Schulunterricht dient der Integration von Menschen unterschiedlicher Befähigung, Religion, Hautfarbe und körperlicher Beeinträchtigung. Kinder sollen lernen, miteinander auszukommen und auch andere Sichtweisen kennenlernen. Das funktioniert vielfach einfacher, als die Eltern es glauben, denn eigentlich haben sie die Probleme, nicht ihre Kinder.

Wenn es, wie Steinbrück zitiert wird, einen muslimischen Vater gibt, der seinen Tochter nicht in den gemeinsamen Sportunterricht schicken will, besteht die Lösung nicht darin, getrennten Unterricht anzubieten, sondern Aufklärungsarbeit zu leisten. Im Übrigen auch dahingehend, was die Grenzen von Beinfreiheit angeht.

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