Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Spannender als Lesungen sind bei der lit.cologne, zumindest wenn man selber schreibt, die Werkstattgespräche. Der Blick hinter die Kulisse, die Einblicke in die Arbeitsweise anderer Autorinnen und Autoren.

Für dieses Jahr hatte ich mir die Veranstaltung „Kreatives Schreiben – Werkstattgespräch mit Eva Menasse“ rausgesucht. Gesprächspartner auf der Bühne im Belgischen Haus war Christian Schärf, der im letzten Jahr an gleicher Stelle zusammen mit Heinrich Steinfest saß. Für eine Veranstaltung am frühen Nachmittag, um 14 Uhr, wenn quasi in der bürgerlichen Stube der Nachtisch gereicht wird, war der Saal nicht nur sehr voll, sondern es war tatsächlich ausverkauft.

Einen groben Gesprächsrahmen bot das neustes Buch der Autorin Menasse, „Quasikristalle„, der multiperspektivisch angelegt ist. In dreizehn Kapitel wird das Leben von Xane Molin erzählt, jedes mal aus der Perspektive einer anderen Figur. Dabei kommt die eigentliche Hauptfigur, Xane Molin, selber nie zu Wort. Der Leser muss sich daher selber sein Bild der Figur machen aus dem, was er durch andere über Molin erfährt. Ein interessantes Experiment, welchem die Fragestellung von Eva Menasse voranging, wie man eine Person in den Fokus bekommen kann.

Unterschiedliche, gegensätzliche Meinungen auszuhalten fällt uns, so eine Beobachtung der Autorin, im Alltag zunehmend schwerer. Genau aber das mutet das Buch seinen Lesern zu. Es kristallisiert sich kein Bild von Xane Molin heraus, sondern der Rezipient muss selber entscheiden, was nun die Wahrheit, wer Molin wirklich ist. Wem glaubt man als Lesern, wenn unterschiedliche Personenperpektiven gezeigt werden ist die spannende Frage, die das Buch aufwirft. Das X im Namen der Figur steht, so Eva Menasse, für das Unbekannte in einer Gleichung.

Abiturtreff sind in Bernstein gegossene Zeitmaschinen.
Eva Menasse

Für Menasse ging es ein Stück weit auch darum, welches Bild sich Menschen von anderen machen und wie hartnäckig das Bild hängen bleibt. Man wird es mitunter nie wieder los. Selbst wenn man den Marianengraben Pubertät hinter sich gelassen hat, bleibt man für den eigenen Vater immer noch die kleine Tochter, obwohl man sich selber als vollständig verändert sieht.

Bei Abiturtreffen passiert das Gleiche. Man schrumpft zurück auf die Rolle, die man früher im Klassenverband hat, egal wie groß der zeitliche Abstand auch sein mag.

Vom Roman löst sich das Gespräch auf der Bühne zunehmen und es ging in die Tiefen der Literaturrezeption. Dabei betonten sowohl Menasse als auch Schärf, dass insbesondere Literaturkritiker wissen sollten, was Rollenprosa ist. Die Sprache einer Figur ist natürlich nicht die Sprache der Autorin. Es gehört daher dazu, dass die Sprache der Rolle entspricht. Schön auf den Punkt brachte es Frau Menasse noch mal mit den Philosophieprofessorinnen.

Selbst Philosophieprofessorinnenhaben gelegentlich einen Brigitte-Gedanken.
Eva Menasse

Die Kunst beim Scheiben besteht darin, Lücken zu lassen. Das unterscheidet einen Roman von einem Bericht. Die Lücken füllt der Leser, weil der Autor ihn dazu „zwingt“. Allerdings, so Menasse, muss man als Autor im Kopf wissen, was dazwischen ist und wie groß diese Lücken sein dürfen.

Christian Schärf ließ es sich nicht nehmen, die Grechtenfragen für Autoren zu stellen. Das Bekenntnis, ob man sich selber als Prozessschreiber oder als Planschreiber sieht. Eva Menasse sagt über sich, dass sie eine Prozessschreiberin sei, auch wenn sie sich manchmal etwas anderes wünscht. Sie habe einen großen Abdruck des Buches in sich. Beim Schreiben geht es für sie dann darum, dieses Bild, diesen Abdruck in Sprache zu übersetzen.

Dazu gehört die Disziplin, ähnlich wie in der Musik oder beim Sport. Ohne tägliches Training, ohne Routine keinen Erfolg. Während der Nachwuchs unter staatlicher Obhut ist, wie sie es ausdrückt, sitzt sie von neun bis vier in der Wiener Staatsbibliothek als ob sie dort eine Angestellte wäre. Die Regeln des Hauses, die strenge Ordnung, helfen das tägliche Pensum zu schaffen. Es gilt dabei, sich als Autor eine Schreibszene zu schaffen, in der man regelmäßig schreibt. Dabei mit einer Schreibszene das sich professionelle einrichten auf das Schreiben gemeint. Dazu gehört auch, die Energie des Moments zu nutzen und erst später zu recherchieren, sofern die Recherche den Schreibfluss unterbrechen würde.

Hinsichtlich der Namen ihrer Figuren bekannte Eva Menasse, noch nie nachher einen Namen geändert zu haben. Für sie spielen Namen eine große Rolle, dienen als Projektionsfläche für die Figur – eine Meinung, der ich mich gerne anschließe.

Christian Schärf kam dann darauf zu sprechen, ob sie schon immer schreiben wollte. Eva Menasse karikierte als Antwort darauf männliche Kollegen, die bereits mit 10 Jahren wusste, dass sie Schriftsteller werden würden, während Frauen da mehr „hineinrutschten“. Wenn sie es früher immer schon gewollt hätte, dann so Menasse, habe sie es vor sich selber gut versteckt. Ihr Vater jedenfalls bereits wenig begeistert darüber, als der ältere Bruder von Eva Menasse mit dem Schreiben anfing.

Neben dem Wann ist auch das Warum etwas, mit dem man als Autor immer wieder konfrontiert wird. Eva Menasse wählte dafür ein entwaffnend ehrlich Antwort. Es ginge darum, durch das Schreiben der Welt etwas zu hinterlassen, was über den eigenen Tot hinausreiche – nur Kinder wären da nicht genug.

Alle Wünsche sind Metapher für andere Wünsche.
Roland Barthes

Wichtig ist es dabei zu begreifen, dass man 90 Prozent der narzistischen Belohnung im Schreibprozess selber haben muss (nach Corina Caduff). Man schreibt um zu schreiben, würde Aristoteles es als treffliches Ziel formulieren. Auf eine Belohnung außerhalb des Schreibens zu schielen führe dazu, erst gar nicht mit dem Schreiben anzufangen. Der Schreibvorgang sei ein Akt des primären Narzissmus.

Ein gutes, sogar sehr gutes Buch trage aber immer auch die Gefahr des Scheiterns mit sich, so Menasse und Schäfer. Wenn das Buch zu gut sei, könne sich ein Gefühl einstellen, so etwas nicht mehr zu erreichen. Von tragischen Debütanten, die in ihrem restlichen Leben nie wieder an ihr eigenes Erstlingswerk herangekommen sind, ist die Literaturgeschichte voll.

Zum Schluss gab es, quasi ist Klammer für die Veranstaltung, noch mal einen kleinen Exkurs der naturwissenschaftlich Interessierten Eva Menasse dazu, was es mit den Romantitel gebenden Quasikristallen auf sich hat. Auch merkte sie an, dass das Buchcover nicht von einem Grafiker auf einem Apfel-Computer entwickelt wurde, sondern einer mathematischen Formel entspringe.

Als Fazit des Werkstattgesprächs bleibt festzuhalten, dass es nicht nur neugierig auf das Buch der Autorin machte, sondern auch noch mal bestätigte, was schrieben wirklich ist: Arbeit, die Spaß machen sollte.

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