In Köln läuft derzeit wieder die lit.cologne, ein Literaturmarathon für Buch-interessierte Menschen. Seit dem ich in Köln wohne, nehme ich die Veranstaltung war, auch wenn es immer wieder ein viel zu volles Büffet ist. Natürlich ist das jammern auf hohem Niveau.
Dieses Jahr hat mir wieder die Auswahl von Veranstaltung das Abwarten erleichtert. Nach für einige Top-Veranstaltungen, die ich gerne besucht hätte, bereits ganz am Anfang keine Karten mehr zu bekommen waren, habe ich es einfach darauf ankommen lassen und erst Anfang des Jahres nach dem geschaut, was noch über war.
Auf diese Weise besucht man letzten Endes auch Lesungen, zu denen man vielleicht sonst nicht gegangen wäre. Einfach deshalb, weil Autor und Thema nicht im eigenen Interessenfokus liegen. Dabei ist gerade die lit.cologne eine Möglichkeit, über den eigenen Tellerrand zu blicken.
Man darf es fast nicht sagen, dass genau auf diese Weise von mir die gestrige Lesung in der Kulturkirche ausgewählt wurde. Da ich seit Jahren keinen „Spiegel“ mehr lese, sagte mir der Name Dirk Kurbjuweit überhaupt nichts. Im Vorfeld hatte ich mich auch nicht über den Autor informiert, sondern die Lesung einfach auf mich zukommen lassen, ohne besondere Erwartungen.
Um so schöner empfand ich es daher, einer Veranstaltung beizuwohnen, die wirklich hochkarätig war. Dirk Kurbjuweit verfügt über eine angenehm zurückhaltende Art und besitzt ein Bühnenpräsenz, die schon etwas besonderes ist. Von seiner Körpersprache her lässt sich jedenfalls nicht darauf schließen, wie gut er das geschriebene Wort beherrscht. Das auf der Bühne ein hochgelobter Journalist saß, der problemlos Interviews mit Politikern wie Angela Merkel bekommt, überraschte schon etwas. Charmant fand ich in dem Zusammenhang das Statement von Kurbjuweit, dies wäre nur deshalb der Fall, weil er für den Spiegel arbeiten würde. Politiker würde nicht Herrn Kurbjuweit ein Interview geben, sondern dem Spiegel.
Von sich selber spricht Kurbjuweit als Schreiber. Jemand, der sich sowohl im Journalismus als auch in der Literatur zu Hause fühlt.
Der Roman, sein siebter wie mehrfach angemerkt wurde, nennt sich „Angst„. Als erste Passage las Kurbjuweit vom Anfang des Buches vor. Die Erzählung beginnt mit dem Ende. Der Vater des Protagonisten befindet sich, nicht wie man zuerst annimmt im Pflegeheim, sondern im Gefängnis. Er hat einen Menschen erschossen. Im weiteren Verlauf erfährt man, dass dies mit Absicht geschehen ist und geplant war. Damit half der Vater seinem Sohn und dessen Familie.
Ermordet wurde der Nachbar des Architekten Randolph Tiefenthaler, der sich und seiner Familie eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus kaufte, ohne zu ahnen, in welche Abgründe das führen würde. Herr Tiberius aus dem Souterrain entwickelt sich vom schrulligen Mitbewohner, der Kuchen vor die Tür der Familie Tiefenthaler, und Frau Tiefenthaler Liebesbriefe schreibt, zu einem Albtraum.
Wie ein Sog zieht einen „Angst“ immer weiter in die Handlung rein. Weitere Passagen, die Kurbjuweit noch im Laufe des Abends vorlas zeigten die Bruchstellen der Familie Tiefenthaler, die bereits vor ihrem Umzug vorhanden waren. Randolph Tiefenthaler isst lieber alleine in Feinschmeckerrestaurant, als Zeit mit seiner Frau zu verbringen. Dabei neigt er dazu, aus allem ein Stück Kultur zu machen, selbst die Zubereitung eines Espressos wird zu einem Akt.
Das Einzige Enttäuschend am gestrigen Abend blieb sein Ende. Die Zeit verging leider viel zu schnell, denn ich hätte Herr Kurbjuweit noch stundenlang zuhören können, trotz der extrem unbequemen Bänke in der Kulturkirche. Um einen Buchkauf werde ich nicht herum kommen, wenn ich den Rest der Geschichte erfahren will. Die bekam eine besondere Schwere durch die Anmerkung ihres Autors, dass es durchaus autobiographische Details in ihr gäbe. Einen Tiberius kennt er aus eigenem Erleben. Gerade das macht dann die Angst aus, die durch unsere bürgerliche Schutzhülle kriecht bis sie uns fest umklammert und jegliche Luft zu atmen nimmt. Letzten Endes kann sich niemand davon freisprechen, angesichts der eigenen Ohnmacht keine Gewaltphantasien zu entwickeln. Zivilisation ist nur eine dünne Eisschicht.
Interessant waren am Abend auch die Einblicke in seine Arbeit, die Dirk Kurbjuweit im Gespräch mit Sabine Küchler dem Publikum gab. Treffend brachte er zum Ausdruck, dass Erlebtes noch lange keine literarische Erzählung ergibt. Daher zieht er es vor, Details zu verändern oder zu erfinden sofern es der Handlung dient. Im Hinblick auf „Angst“ jedenfalls hat er ganze Arbeit geleistet. Das Buch lässt einen so schnell nicht mehr los.