Derzeit trage ich als Zuglektüre das Buch „Halt, stehenbleiben! Polizei!: Aus dem Leben eines Ermittlers“ mit mir herum. Bereits nach den ersten Seiten frage ich mich nach dem Anschaffungsgrund. Wenn es nur dieses eine Buch über den Alltag eines Polizisten geben würde, hätte es mit Sicherheit einen gewissen Unterhaltungswert. Oder besser gesagt Informationswert, denn unterhaltsam sind die Geschichten im Buch nur begrenzt. Sie bewegen sich vom erzählerischen Niveau ungefähr auf der Ebene einer mündlichen Erzählung im Verwandten und Bekanntenkreis. Das sind Anekdoten, mehr nicht.
Das wahre Leben kann man auch zur Ware Leben machen.
Das weitaus größere Problem, welches ich mit dem Buch habe, sind die Vielzahl anderer, ähnlicher Publikationen. Eine kleine Auswahl:
- Zugriff: Aus dem Leben eines SEK-Manns
- Seine Toten kann man sich nicht aussuchen
- Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle
- 110: Ein Bulle hört zu – Aus der Notrufzentrale der Polizei
Man spricht zwar davon, dass die Wirklichkeit mitunter spannender sein kann als die Fiktion. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass jeder draus eine spannende Geschichte macht. Ein guter Stoff ist lediglich das Rohmaterial. Durch handwerkliches Geschick entsteht dann in vielen Schritten erst ein Text, der den üblichen Konvention der Gattung folgt (Kurzgeschichte, Novelle etc.).
Einfach aufschreiben, was man gehört oder erlebt hat, ergibt noch keinen Roman. Im Umkehrschluss gilt auch, dass die Handlung eines guten und unterhaltsamen Krimis auch vollständig ausgedacht sein kann.
Bei der Vielzahl von, nennen wir sie mal „Anekdoten-Sammlungen“, denn die Werke sind weder Fachbücher noch lassen sie sich als Krimis oder etwas anderes bezeichnen, wundert man sich über die Leserschaft. Das es die gibt, zeigt das Angebot. Anscheinend verkaufen sich solche Bücher recht gut. Offensichtlich gibt es ein starkes Verlangen von nicht wenigen Lesern nach realistisch anmutenden Erzählungen. Genau so, wie auch das Bedürfnis nach Reality-TV zu existieren scheint.
Das Verlangen, in den Arbeitsalltag andere Menschen hineinzulesen, beschränkt sich allerdings nicht auf die Polizeiarbeit oder anverwandte Berufe wie Tatortreiniger, Gerichtsmediziner und Rettungssanitäter. Putzfrauen, Flugbegleiter, Supermarkt Kassiererinnen und selbst Bademeister haben ihre Erzählung zu Papier gebraucht und tummeln sich in Buchhandlungen.
Falls jemand noch ein Schreibthema für sich sucht (Ghostwriter sind trotz des mitunter schlechten Images nach wie vor gefragt), es gibt noch zahlreiche unentdeckte Berufsgruppen. Schuster, Schreiber, Bäckereifachverkäufer und Fliesenleger zum Beispiel. Aber ehrlich gesagt, eine Bereicherung der Literatur sollte man davon nicht erwarten.
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