Lektüreschlüssel und Interpretationshilfen begleiteten mich einige Jahre im Deutschunterricht. Ohne solche Sekundärliteratur erschloss sich der Text nicht auf die Weise, wie sie vom Lehrkörper erwartet wurde.
Auf meinem Weg durch die Schulstufen muss es irgendwo eine Abzweigung gegeben haben, an der ich vorbei und statt dessen vor einen Baum lief. Anders ist es kaum zu erklären, warum ich in der Oberstufe ausgerechnet Deutsch als Leistungskurs wählte. Gut, ich kenne den wahren Grund, aber der ist weniger originell.
Um es auf den Punkt zu bringen: Es hat Jahre gedauert, bis ich wieder Romane lesen konnte, ohne das im Kopf der Versuch unternommen wurde, den gerade gelesenen Text zu interpretieren. Erst durch einen langen Aufenthalt im Tal der Belletristik konnte ich mich selber kurieren. Ganz so schlimm ist es nicht. Zudem ist es auch Stück Kulturfertigkeit, hinter einen Text schauen zu können.
Unglücklicherweise bekommt man (oder zumindest bekam ich) im Deutschunterricht nur die Hälfte von dem, was benötigt wird vermittelt. Erst dadurch, dass ich mit der Textproduktion beschäftigt habe, vervollständigte sich mein Wissen. Alles, was ich mir angeeignet habe um eine „verdammt guten“ Roman zu schreiben, lässt sich auch für die Interpretation nutzen. Bewusst oder unbewusst analysiert man gelesenes.
Die Fähigkeiten machen auch vor Filmen keine Halt, wie mir gestern Abend nach dem Konsum von „Ralf reicht’s“ klar wurde. Oberflächlich betrachtet war das ein netter Animationsfilm mit Querverweisen zu einigen Videospiel-Klassikern (das mit dem roten Ausrufezeichen versteht nicht jeder Kinobesucher). Dabei hätte es auch bleiben können.
Gerade bei Disney-Filmen schauen ich aber gerne hinter die Kulisse um zu sehen, welche Botschaft der Film transportieren will. Die von „Ralf reicht’s“ wäre meiner Meinung nach die:
Träume darf man haben, aber trotzdem sollte man wissen, wo der eigene vorbestimmte Platz in der Gesellschaft ist.
Am Ende bekommt der Held das Mädchen, während der „Bösewicht“ in sein altes, leicht verändertes, Leben zurückfindet. Geläutert gibt er sich mit dem zufrieden, was er hat.
Das ist nichts anders als eine zutiefst konservative Botschaft. Die Erkenntnis verleidet im Nachhinein den Film. Andererseits frage ich mich allerdings, ob Kinder diese Botschaft überhaupt wahrnehmen. Obwohl ich in meiner Kindheit fast alle Folgen von „Captain Future“ geschaut habe, wurde aus mir kein Mann mit einem überholten Frauenverständnis.