„Unmittelbar nach dem er die Tür zum Klassenzimmer aufstieß bemerkte er das Fehlen jeglicher Kleidung an ihm.“
Tagsüber Held unserer Geschichte gibt es doch Träume, die unserer Figuren immer und immer wieder verfolgen. Die sie quälen und nachhallen in den Tag. Die Frage dabei ist, ob wir als Autoren von den Nöten unserer Figuren wissen. Ob wir ahnen, wo von sie träumen.
Mich beschäftigter dieser Gedanke vor ein paar Tagen. Nicht etwa weil ich meine Figuren unbedingt auf die Couch zerren und therapieren will. Die Überlegung ging dahin, ob die Träume eine Figur zu einem dreidimensionalen Charakter machen. Ursprünglich wollte ich mich damit weiter auseinandersetzen. Zumindest bis ich heute morgen im Zug über einen faszinierenden Ansatz stolperte, der die Frage auf gewisse Weise obsolet macht.
Die Einleitung des Buches „Literarisches Schreiben“ von Lajos Egri führte fast dazu, dass ich nicht weiterlesen wollte. Dennoch raffte ich mich auf dem Weg ins Büro auf und nahm das Buch wieder zur Hand. Die Rezensionen auf amazon sind durchwachsen. Nach den wenigen Seite, die ich bisher geschafft habe, kann und will ich dazu noch nichts sagen. Dem wiedersprechend kann ich jedoch sagen, dass man die ersten zwei Kapitel getrost überspringen kann. Dann aber geht es um Emotionen als Quelle der Leserbindung. Zwei Beispiel, die Egri anführt, haben mich sofort gepackt.
Je stärker die Emotionen, desto Größer die Spannung.
aus: Lajos Egri “ Literarisches Schreiben“
Zum einen zeigt er eine längere Passage aus Henrik Ibsens ‚Hedda Gabler‘. Als Leser fängt man nach kurzer Zeit bereits an, Hedda zu hassen. Man möchte aufspringen und das Fräulein Tesman vor dieser undankbaren Person in Schutz nehmen. Gleiches passiert in der Szene aus Lillian Hellmans „Die kleinen Füchse“. Die Wut auf Oscar Hubbard kocht in einem hoch. So wie er mit seiner Frau umgeht, möchte man am liebsten handgreiflich werden.
OSCAR (geht einen Schritt auf sie zu): Du hast auf ihn eingeschwatzt wie eine Elster. Keine Sekunde hast du ihn in Ruhe gelassen. Bestimmt ist er nicht extra in den Süden gekommen, um sich von dir langweilen zu lassen.
BIRDIE (zutiefst gekränkt): Er hat sich nicht gelangweilt. Nein, gelangweilt hat er sich bestimmt nicht. Er ist ein sehr gebildeter, kultivierter Herr, (lauter) Es ist nicht zu fassen – jedes Mal, wenn ich mich amüsiere, sprichst du so mit mir.
OSCAR (wendet sich ihr zu, mit scharfer Stimme): Du hast wohl zu viel Wein getrunken. Jetzt reiß dich zusammen.
BIRDIE (entfernt sich von ihm, den Tränen nahe, schrill): Was tu ich denn? Ich tu doch gar nichts. Was tu ich bloß?
aus: Lillian Hellman „Die kleinen Füchse“
Beide Passagen (die hier zitierter Passage von Hellman ist bei Egri etwas länger) sind von Egri gut gewählt worden. Sie entfachen in einem das Verlangen, die jeweiligen Texte zu lesen, weil man wissen will, wie es weiter geht. Und genau das ist es, was Egri verdeutlichen wollte. Wie Emotionen den Leser binden.
Meine Frage, ob Helden träumen oder nicht wurde angesichts der beiden Szenen bedeutungslos. Wenige Pinselstriche reichen aus, um die jeweiligen Figuren unmittelbar in allen Facetten vor sich zu sehen. Das jeder von Oscar Hubbard möglicherweise ein anderes Bild hat, ist unerheblich. Entscheiden ist das, was in uns erweckt wird. Wir glauben das Oscar Hubbar eine dreidimensionale Figur ist, weil wir ihn hassen.
So gut die Beispiele von Egri auch sind, es gibt einen Haken dabei. Emotion sind unbestritten wichtig. Genauso möchte sich der Leser aber auch mit einer Figur in der Geschichte identifizieren. Insbesondere in der Passage aus „Die kleinen Füchse“ fehlt so eine Figur. Der Leser möchte weder Oscar noch Birdie sein. In Gedanken, und da sind wir dann wieder bei den Träumen, schreibt man die Szene neu. Kurz bevor Oscar die Hand hebt um Bridie zu schlagen, reisst man die Tür auf und hält seinen Arm fest.
In welcher Form Egri auf Identifikationsfiguren eingeht, werde ich hoffentlich beim weiterlesen seines Buches noch erfahren. Den eigentlich geht es mir um die Helden.