Der tödliche Angriff mit einem Messer auf eine Mitarbeiterin des Jobcenters in Neuss hinterlässt ein Gefühl von Fassungslosigkeit und Ohnmacht.
Fassungslosigkeit in Bezug auf die Tat selber. Ohnmacht hinsichtlich der diskutierten Möglichkeiten, solcherlei Angriffe in Zukunft zu verhindern. Weder eine Sicherheitsglasscheibe noch ein Großraumbüro stellen eine adäquate Lösung da. Aber was ist in diesem Zusammenhang überhaupt adäquat? Gibt es ein Primat der Sicherheit für die Mitarbeiter? Vertrauliche Beratungsgespräche mit den Kunden der Jobcenter sind essentiell. Eine Erhöhung offensiver Sicherheitsmaßnahmen geht immer zu Lasten dieser Vertraulichkeit.
Vielmehr müsste daher der Blick auf die Gründe für die erhöhte Aggression der Arbeitssuchenden und Hartz-IV-Empfänger gerichtet werden, ohne dabei eine Tat wie in Neuss zu rechtfertigen oder zu entschuldigen. Verantwortlich sind in letzter Konsequenz die Entscheidungsträger in Politik und Gesellschaft. Viele der Leistungsempfänger haben nicht nur den Eindruck, unter dem Minimum des für sie erträglichen zu leben. Sie fühlen sich an die Wand gedrückt. Ihre Wut und Verzweiflung sind nicht eingebildet, sondern ganz real. Je größer der Druck wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines Ausrasters. Die Gewalt muss sich dabei nicht zwangsläufig gegen Vertreter des Staates richten. Alles was subjektiv schwächer erscheint als der Betroffene, ist potentiell gefährdet – sogar die eigenen Kinder.
Wenn die Polizeigewerkschaft sich dahingehend äußert, dass mangelhafte Gesetze Schuld an der Tat in Neuss sind, hat sie recht. Ob es diese Äußerung zum richtigen Zeitpunkt getätigt wurde, steht auf einem anderen Blatt.
Eine Lösung vor Ort in den Jobcentern kann es nicht geben. Zum einen, weil Null-Risiko nicht möglich ist. Mehr Sicherheit widerspricht dem Arbeitsfeld. Zum anderen, weil der Umgang mit Arbeitslosen und Leistungsempfängern dringen reformiert werden muss. Das Gefühl der Ohnmacht bleibt daher, denn ein politisches Neudenken wird nicht stattfinden, auch wenn andere Ansätze wie ein bedingungsloses Grundeinkommen hinlänglich bekannt sind.
2 Kommentare
Ja, und dann wird man noch als „Kunde“ bezeichnet. Für einen Menschen mit der entsprechenden Disposition klingt das wahrscheinlich weniger wertschätzend als eher zynisch.
Die Bezeichnung als „Kunden“ ist mir auch unangenehm aufgefallen. Ich habe beim schreiben lange überlegt, ob ich sie verwenden und wenn ja, mit oder ohne Anführungsstriche. Letztendlich nutzte ich die Bezeichnung dann in der wertneutralen Version – wobei genau das, wie du festgestellt hast, nicht möglich ist. Der abwertende Klang in „Kunden“ bleibt in dem Kontext stets hörbar.