Herman Winterkorn gehörte zur Sorte Mensch, die sich stets sorgfältig zu kümmern wusste. Niemand konnte ihm etwas vormachen. Er glaubte nicht nur, alles im Griff zu haben, es war auch so. Selbst wenn es hier und da Dinge gab, die aus dem Ruder zu laufen drohten, fand Winterkorn immer einen Weg, auf dem er die drohenden Probleme umgehen konnte. Was eine Scheidung ihn kosten würde, wusste er bereits, bevor seine Frau dieses furchtbare Wort in den Mund nahm. Für ihn kam das nicht in Frage. Er wollte weder auf das Haus, für das er hart gearbeitet hatte, noch auf andere Annehmlichkeiten des Lebens verzichten. Dazu gehörte auch das Verhältnis zu seiner Vorgesetzten, hinter welches wohl seine Frau gekommen sein musst. Wenn er es richtig überlegte, konnte sie das gar nicht alleine in Erfahrung gebracht haben.
Wahrscheinlich, dass ihr einer seiner Kollegen, der bei der letzten Beförderung übergangen wurde, es ihr gesteckt hatte. Wenn er mit seiner Frau fertig war, würde er schon herausfinden, wer das Schwein in der Firma war. Neben seiner Frau würde sicher noch Platz sein. Zunächst einmal musste er sich jedoch um sie kümmern. Scheidung, so was kam gar nicht in Frage. Wenn sie unbedingt gehen wollte, dann sollte sie gehen, aus dem Leben gehen. So sah das Herman Winterkorn jedenfalls. Vor der Ausführung seiner Pläne galt es, eben diese Pläne zu verfassen. Mehrmals ging Winterkorn die verschiedenen Möglichkeiten durch. Ein Unfall im Haushalt wäre sicher das Naheliegendste gewesen. Da das Missstück von Frau zu faul für jede Art von Haushaltsarbeit war und sie sich eine Haushälterin leisteten, schied diese Art der Beseitigung jedoch aus. Sportunfälle passierten mit voraussagbarer Regelmäßigkeit. Das letzte Mal, als seine Frau Sport getrieben hatte, lag vor ihrer Hochzeit. Entsprechend sah sie auch mittlerweile aus. Wären die Krater des Mondes Cellulite, dann wäre seine Frau die große Schwester des Mondes. Allerdings drehte sie sich nicht wie er um die Erde, sondern alles musste sich um sie drehen. Herman hier, Herman da. Herman rück mir noch mal das Kissen zu recht. Das Bitte in ihren Wünschen war längst dem Befehlston gewichen. Winterkorn konnte sich damit arrangieren. Auswärts essen gehen kannte er schließlich von der Kantine.
Sturz vom Balkon. Ein altes Geländer, man beugt sich leicht herüber, und schon bricht es ab. Im Haus gab es einen wunderschöne Balkon mit Südblick. Winterkorn brauchte was zu trinken, um besser nachdenken zu können. Bei so wichtigen Sachen griff er am liebsten zu seinen Likören. Beim Amaretto musste er sich im Supermarkt vergriffen habe. Das Zeug schmeckte billiger, als es gewesen war. Gleich morgen würde er es umtauschen und den Verkäufer zur Rechenschaft ziehen. So ein bitteren Nachgeschmack konnte man doch keinem Kunden antun. Zunehmend viel ihm das Denken schwerer statt leichter. Nur für einen Moment hinlegen, das würde schon wieder besser werden.
Gemeinsam mit der Haushaltshilfe trug Frau Winterkorn wenige Stunden später ihren Mann in den Keller. Sein Mund, den sie noch nie leiden konnte, sah blau verfärbt auch nicht besser aus.