Man könnte einfach Gras über die Sache wachsen lassen, wenn es sich nicht um einen überzeugten „Serientäter“ handeln würde. Während Otto und Erika Normalbürger es allenfalls mit Leserbriefen in die Zeitung schaffen, räumt man anderen, egal welchen Blödsinn sie schreiben, prominenten Platz im Feuilleton ein.
Anders als bei seiner letzten Meinungsäußerung wurde das sogenannte Gedicht diesmal nicht mit letzter Tinte geschrieben. Es ist auch etwas sorgfältiger gearbeitet, selbst wenn die Wörter jenseits von Reim und Versmaß auf einer Satzstrecke holpern. Wer sich nicht auskennt, wird dem vergewaltigten Hexameter keine Träne nachweinen.
Man muss den Text mehrfach lesen, um der inhaltlichen Aussage auf die Spur zu kommen. Natürlich stellt man schnell fest, dass es um Griechenland und dem Umgang der anderen europäischen Länder (wobei es hier hauptsächlich ein paar treibende Kräfte, vor allem aber Deutschland, sein dürfte) mit dem hoch verschuldeten Staat geht. Das normale Schulwissen reicht aus, um den Vorwurf, die Wiege der Demokratie würde nackt an den Pranger gestellt, also gleichsam ihr historischer Verdienst entwertet, zu entschlüsseln. Ob ein Verweis soweit zurück in die Zeit legitim ist für aktuelle komplexe Sachverhalte, sei dahingestellt.
Weiter kommt man aber ohne Sekundärliteratur nicht. Markus Schwering im Kölner Stadt-Anzeiger hilft da weiter und erklärt den Verweis auf Hölderlin und die Obristen:
Was aber, bitte schön, haben die Besatzung des Landes durch die Nazis und die von den USA installierte Obristendiktatur damit zu tun […]
KSTA, Samstag/Sonntag, 26./27. Mai 2012, S.28
Da ist er wieder, der Nazi-Vergleich im Gedicht. Als ob einem alten Dichter nur noch diese monokausale Erklärung einfallen würde. Das Thema ist viel zu komplex, um es mit lediglich 24 Zeilen zu fassen. Ungeheuerlich ist es auch, Griechenland zu einem Opfer zu machen, welches selber keine Schuld an seiner Lage trägt.
Richtig ist die mitschwingende Feststellung, man könne das Land nicht einfach fallen lassen, so wie das in den vergangenen Tagen bei einem anderen Autor anklang. Möglich, das dieses Gedicht als Reaktion darauf verstanden werden will. Es ist aber zu bezweifeln, ob jemand, der dermaßen stur ausschließlich seine Interpretation von Zahlen und Tabellen gelten lässt, sich überhaupt beeindrucken lässt. Selbst die Worte eines Nobelpreisträgers werden an ihm abperlen.
Vorwerfen kann man dem Text nicht das Fehlen von Lösungen, denn das muss er nicht leisten. In der Hinsicht ist die Prosa privilegiert gegenüber einem Sachtext (oder -buch).
Zu guter Letzt noch ein Wort zum Thema Schande. Der hier nicht namentlich genannte Dichter ist selbstverständlich keine Schande für Deutschland, aber auch kein Aushängeschild. Das aber steht Schriftstellerinnen und Schriftstellern durchaus zu. Freie Meinungsäußerung ist ein hohes Gut und unbequem sein gehört ein Stück weit auch dazu.