Eines der hier in Köln ausgesetzten Bücher, welches bei mir ein neues zu Hause gefunden hat, ist „Das Geheimnis meiner türkischen Großmutter“ von Dilek Gungör. In einer Buchhandlung wäre ich wohl einfach daran vorbeigegangen, was Schade gewesen wäre, denn Gungör ist ein unaufdringliches, gut erzähltes Buch gelungen.
Auch wenn es nicht das Genre (wenn sich der Roman zu einem zuordnen lässt) ist, was ich üblicherweise lese, so war ich doch von der ersten Seite gefesselt. Erst als ich die letzte Seite erreicht hatte, konnte ich das Buch wieder aus der Hand legen. Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht von Zeynep, deren Großmutter im Sterben liegt. Noch vor der Geburt ihrer Tochter haben die Eltern von Zeyneb ihre türkische Heimat verlassen und sind nach Deutschland ausgewandert – einer der Gründe dafür liegt als dunkler Schatten über der Familie und wird als Geheimnis gehütet. Zusammen mit ihren Eltern fliegt Zeyneb in die Türkei, in der Erwartung eines baldigen Todes der Großmutter. Die lässt sich jedoch Zeit. Zeyneb, die nach einer gescheiterten Beziehung wieder bei ihren Eltern wohnt, erfährt erst nach und nach die ganze Wahrheit über ihre Familie. Dabei ist sie überrascht, um wie viel aufgeklärter ihre vermeintlich rückständigen Verwandten sind und welche Klischees sie ohne es zu wissen, selber lebt. Während die Eltern wieder zurück nach Deutschland fliegen, bliebt Zeynep bei ihrer Großmutter, um diese zu pflegen. Immer unter der Kontrolle von Onkel Mehmet, dem Patriarchen der Familie, vor dem sogar Zeyneps Vater, der ältestes Sohn der Familie, kuscht. Warum das so ist, hängt mit dem zusammen, was vor langer Zeit im Dorf passierte.
Während des Lesens schlüpft man immer mehr in die Rolle von Zeynep. Die anatolische Landschaft erscheint vor dem inneren Auge und man meint selber, den Geruch nach saurem Joghurt, der von der Großmutter ausgeht, in der Nase zu haben. Die Enge, die Zeynep im Haus ihrer Verwandten spürt, wir deutlich erlebbar. Ohne Vorurteile bekommt man einen Einblick in gewachsene Familienstrukturen und muss sich am Ende selber die Frage stellen, welche Machtstrukturen es in der eigenen Familie eigentlich gibt.
Die große Leistung von Gungör besteht darin, jedem Familienmitglied unverwechselbare Züge zu verleihen ohne viele Worte zu verlieren. Ihre Sprache ist glatt und unaufgeregt, eine Erzählung, bei der die Wörter der Handlung dienen und nicht umgekehrt. Man merkt fast nicht mehr, dass man ein Buch liest, sondern taucht vollständig in die Handlung ein. Ein schönes Beispiel für gelungene Literatur und dafür, worin die Aufgabe einer Autorin / eines Autors wirklich besteht.