Keine Überraschung dürfte es sein, dass die Piraten-Partei am meisten zu den Themen Netzpolitik und Urheberrecht zu sagen hat. Es wird auch niemanden verwundern, dass sich darunter auch Positionen befinden, die mehr als nur „umstritten“ sind.
Im Fahrwasser der FDP betonen die Piraten die Freiheit des Einzelnen als vom Grundgesetzt garantiertes Recht. Daraus leiten die Piraten ein Primat der Freiheit ab. Verzicht auf Freiheit zugunsten von Sicherheit ist aus ihrer Sicht nur vermeintlich. Diese Definition erscheint etwas unreflektiert, da die Freiheit des Einzelnen immer da endet, wo die Sicherheit und das Leben andere gefährdet ist – und das gilt nicht nur bezogen auf das Internet. Zwar relativieren die Piraten den unbedingten Schutz der Freiheit durch den Zusatz, dass einschränkenden Maßnahmen dann zulässig sein, wenn eine „unmittelbare Gefahr für Leib oder Leben von Menschen vorliegt“. Aus Sicht von Ermittlern ist das aber meist schon zu spät.
Schwammig formuliert ist folgende Aussage:
Die Verwendung von im Internet gesammelten Daten zur Profilbildung außerhalb von Ermittlungstätigkeiten lehnen wir grundsätzlich ab.
Im Kontext bezieht sich das auf staatliche Stellen. In der Realität findet eine Profilbildung täglich statt – bei Firmen wie facebook und anderen. Eine deutliche Stellungnahme der Piraten, so wie sie die Grünen in ihrem Wahlprogramm haben, fehlt – leider auch in den weiteren Teilen des Wahlprogramms der Piraten.
Zur Freiheit gehört für die Piraten auch der freie Zugang zum Internet und aller seiner Inhalte. Jegliche Art von Beschränkung wird abgelehnt.
Dringenden Bedarf sehen die Piraten bei der aus ihrer Sicht notwendigen Reform des Urheberrechts. Das sich angesichts der neu entstanden Möglichkeiten ein Wandel vollzogen hat, dürfte unumstritten sein. Nicht jeder aber würde die Meinung teilen und nicht nur von Missständen, sondern auch von Missverständnissen reden – illegale Kopien sind kein Missverständnis. Fragwürdig ist daher auch folgende Aussage:
das in die Schieflage geratene Gleichgewicht zwischen Urhebern, Rechteverwertern und der Allgemeinheit
Diese Schieflage wollen die Piraten „zugunsten der Kulturschaffenden und Verbraucher wiederherstellen“. Hier wird zu einen ein Konflikt zwischen Urhebern und Rechteverwertern heraufbeschworen, den es möglicherweise gar nicht gibt. So sind in der Regel Verlage und Verleger eher Partner der Autorinnen und Autoren, die ein gemeinsames Interesse eint: ein gutes Buch zu verkaufen. Schwer vermittelbar dürfte auch sein, aus welchen Gründen der Download eines gerade im Kino angelaufenen Films der Allgemeinheit dienen sollte. Wenn es hier ein Ungleichgewicht gibt, dann bezieht es sich auf die Kulturschaffenden, deren Interessen und Rechte von einzelnen missachtet werden. Die Forderung
Für diese Reform sollen die im Urheberrecht verankerten Zugeständnisse an die Allgemeinheit, die Urheberrechtsschranken, deutlich ausgeweitet werden. Ferner soll die Geltungsdauer des Urheberrechts herabgesenkt werden.
ist ganz klar ein Schlag ins Gesicht jedes Kulturschaffenden. Als Autor muss man sich ernsthaft fragen, wo drin denn dann noch der Anreiz bestehen soll, Bücher zu schreiben. Wer sich ernsthaft mit dem Thema Schreiben auseinander setzt und für den es nicht nur reine Liebhaberei ist, der trägt in sich in die Hoffnung, von dieser Tätigkeit auch eines Tages leben zu können – dabei helfen genau die Rechteverwerter, die von den Piraten als Störenfriede eines „möglichst freien Zugang zu Bildung und Kultur“ gebrandmarkt werden.
Worum es den Piraten wirklich geht, findet man in aller Deutlichkeit in ihrem Wahlprogramm:
Das Recht auf Privatkopie und die Erstellung von Remixes und Mashups soll erleichtert werden, Kopierschutzmaßnahmen komplett untersagt werden und Tauschbörsen legalisiert werden.
Die Forderung, Tauschbörsen zu legalisieren, ist genau der Tropfen zu viel – nicht nur, weil er rein gar nichts mehr mit einer Privatkopie zu tun hat. Hier geht es darum, massenhaft Kulturgut regelrecht zu entwerten. Den Schaden haben nicht nur die Urheber, sondern letztendlich auch die Gemeinschaft, wenn der Teich der kulturellen Vielfalt zunehmend austrocknet.
Während beim Thema Bildung immer auch auf Studien verwiesen wird, belassen es die Piraten bei ihrem Kernthema bei einer Behauptung:
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass eine möglichst freie Verbreitung und ein freier Umgang mit Kultur zu deren Verbreitung beitragen und sich positiv auf die Entwicklung des Kulturgütermarktes auswirken.
Gerade für so ein wichtiges Thema wie Urheberrecht sollte man die Quellen nennen, auf die man sich bezieht. Im Fall dieser Aussage dürfte das Eckhard Höffner mit seinem Buch „Geschichte und Wesen des Urheberrechts“ sein (vgl. „Wem nutzt das Urheberrecht?“ bei Telepolis und „Explosion des Wissens“ bei Spiegel online).
Auch wenn die historischen Fakten so sind, wie Höffner sie darstellt, ergibt sich daraus noch lange keine Anleitung, wie man im 21. Jahrhundert mit dem Urheberrecht verfahren sollte. Es taugt lediglich für die Erklärung einer abgeschlossenen Entwicklung ohne in die Zukunft weisen zu können.
Die Forderung der Piraten, die Mediennutzung im „Bildungskontext“ solle frei von Urheberrechtsabgaben sein, hört sich im Prinzip erstmal gut an. Bis man sich dann die Frage stellt, womit Schulbuchverlage und Autoren von Schulbüchern dann künftig ihr Geld verdienen sollen. Ein so deutliche Negierung marktwirtschaftlicher Notwendigkeiten traut sich nicht einmal die Linkspartei zu.
Während die Piraten beim Urheberrecht deutlich machen, was sie für erstrebenswert halten, bleiben sie beim Thema Datenschutz seltsam nebulös. Sie fassen Bereiche wie Datenschutz und Transparenz unter dem Begriff des „Verbraucherschutzes“ zusammen. Bei Sätzen wie diesen
Im Verhältnis zwischen Hersteller, Vertreiber und Verbraucher ist letzterer in der Regel strukturell unterlegen.
weiss man nicht genau, ob es hier um Massentierhaltung, Lebensmittelskandale oder das Internet geht. Der Satz passt überall. Es fehlt eindeutig an Substanz. Zwar wird mit vielen Sätzen vom „strukturell und mittelbedingten Ungleichgewicht“ gesprochen, der Abstraktionsgrad ist hier aber zu hoch. Gerade auch im Bereich Datenschutz könnten die Piraten mit Sicherheit deutlichere Worte finden – merkwürdig, warum sie darauf verzichten. Für die Grünen dürfte das auf jeden Fall ein Grund zur Freude sein, da sie hier die besseren und prägnanteren Aussagen haben.
Insbesondere mit den Aussagen zum Thema Urheberrecht tragen die Piraten dazu bei, dass man sie auch weiterhin eher belächelt als ernst nimmt. Sie verspielen hier viel Kredit, den man ihnen als Wählerin oder Wähler nach dem Lesen ihres Bildungsprogramms eingeräumt hätte. Durch eine sehr einseitige Position werden sie so in der öffentlichen Wahrnehmung auf die Forderung zur Legalisierung von Raubkopien reduziert. Ernsthafte Netzpolitik sieht anders aus. Die Piraten geben sich den Anstrich einer Kompetenz, die sie möglicherweise hier gar nicht haben. Netzpolitik, so scheint es, können SPD und Grünen besser.
2 Kommentare
„Die Forderung, Tauschbörsen zu legalisieren,“ — seit wann sind Tauschbörsen per se illegal?
Wer will mir denn verbieten, mir die neueste Debian-Installations-CD per bittorrent zu saugen?
Achja, und nochwas: „Die Forderung der Piraten, die Mediennutzung im “Bildungskontext” solle frei von Urheberrechtsabgaben sein, hört sich im Prinzip erstmal gut an. Bis man sich dann die Frage stellt, womit Schulbuchverlage und Autoren von Schulbüchern dann künftig ihr Geld verdienen sollen. Ein so deutliche Negierung marktwirtschaftlicher Notwendigkeiten traut sich nicht einmal die Linkspartei zu.“
Tja, komisch. In Polen haben sie das jetzt gemacht: Neue Schulbücher stehen unter CC-Lizenz. :-)
Quelle: http://netzpolitik.org/2012/polen-setzt-auf-offene-bildungsmaterialien/