Das zweite Mal innerhalb von wenigen Monaten waren DER CHEF und ich im Belgischen Haus. Diesmal jedoch nicht im Rahmen der Kölner Musiknacht, sondern für eine lit.COLOGNE Veranstaltung.
Bei frühlingshaftem Wetter in einem dunklen und stickigen Saal zu Sitzen, ist sicher nicht jedermanns Sache. Geboten wurde eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem DUDEN-Verlag, der eine Reihe zum Thema Kreatives Schreiben herausgebracht hat. Zu Gast war Heinrich Steinfest, der versehentlich Krimiromane (mit Betonung auf dem zweiten Wort) schreibt. Im Vorfeld habe ich im Kölner Stadt-Anzeiger schon über ihn gelesen, dass er bekennender Nicht-Plotter sei – allerdings hatte ich meine Karte zu diesem Zeitpunkt schon gekauft. Mein Skepsis war aber, um das schon mal vorweg zu nehmen, unbegründet. Steinfest ist eine erfrischende Persönlichkeit, die im Gespräch mit Christian Schärf einen Einblick in seine Arbeitsweise gewährte.
Steinfest ist jemand, für den ein Roman ein Paralleluniversum darstellt, in das er beim schreiben eintaucht. Wenn er schreibt, ist er in der Realität des Romans. Dabei begleitet er seine Figuren und verfolgt auf diese Weise, wie sich die Handlung entwickelt. Offen bekennt er, dass er am Anfang das Ende nicht kennen würde. Während andere Autoren, insbesondere im Genre Krimi, ihre Geschichte vom Ende her entwickeln, entstehen seine Romane vom Anfang her. Aus einer Ursuppe, so Steinfest, würden seine Texte entstehen. In Bezug auf den Krimi ist es weniger der Fall, der bei ihm im Vordergrund stehen würde, sondern das, was die Tat aus den Figuren macht, wie sie dadurch verändert werden. Für ihn gibt es keinen Masterplan (bzw. Plot), sondern er folgt einem intuitiven Weg. Dieses Verfahren sei weder besser noch schlechter, sondern eins, mit dem er am besten arbeiten könne.
Interessant waren auch seine Ausführungen in Bezug auf den Krimi an sich. Seiner Meinung nach muss der heutige Krimi nicht auf die Errungenschaft der modernen Literatur verzichten. Oder anders gesagt: man kann auch einen richtigen Roman als Krimi schreiben. Krimiautoren, so Steinfest, sind auch richtige Schriftsteller und müssen sich nicht verschämt verstecken und von einem richtigen Roman träumen. Es sei doch nicht so, dass die Nicht-Krimis langweilig sein müssen oder das Bücher, die nicht verstanden werden, genial sind. Wichtig in seinen Geschichten sei ihm die Sprache, das Außergewöhnliche, Neue. Daher lehnt er eine einfache Sprache und eine Handlung, die nur auf Spannung reduziert ist, ab. Landschaftsbeschreibungen, die Gedanken der Figuren und ihre Träume, schlicht und einfach auch ihr Alltagsleben dürfen die Spannung durchbrechen. Steinfest geht davon aus, dass auch die sogenannte Spannung in Krimis oder Thrillern Langeweile erzeugen kann, wenn sie nach dem immer gleichen Muster aufgebaut ist. Ihm ist bewusst, dass man niemals ein Buch schreiben kann, welches alle Leser befriedigt.
Vom Standpunkt des Autors reicht es vollkommen aus, wenn die Bücher gekauft werden.
Ein typischer Serienromanschreiber sei er nicht, behauptete Steinfest. Oft liegen zwischen einzelnen Folgen mehrere andere Bücher. Wenn er sich dann mit Abstand noch mal eine Figur vornehme, stehe bei ihm die Frage im Vordergrund, was in der Zwischenzeit aus den Figuren geworden ist. So wie er sich als Autor weiterentwickelt hat, steht er seine Figuren auch zu, sich weiter zu entwickeln. So habe er auch seine früherer Haltung, Wien sei eine Art surreales Entenhausen, mittlerweile revidiert.
Seine Figuren sind keine Superhelden, sondern sind für ihn nur perfekt, wenn sie einen Makel haben. Beim schreiben versucht er dann, den Figuren gerecht zu werden. Sehr deutlich wurde, dass Steinfest seine Figuren mag.
Der Beruf eines Kritikers ist, sich Gedanken über Bücher zu machen. Ich schreibe sie nur.
Im Verlauf des Gespräches wurde deutlich, was Steinfest nicht sein will: der Interpret seiner eigenen Bücher. Ebenfalls mag er es nicht, seitenweise über die Zerstückelung einer Leiche zu schreiben. Ihn interessiere, was die Tat mit den Figuren macht. Ein Krimi (Roman) sollte sich seiner Meinung nach nicht darauf reduzieren, einen forensischen Bericht abzuschreiben.
In Bezug auf Recherche vertritt Steinfest als jemand, der sich dazu bekennt, nicht gerne zu reisen, seinen eigenen Standpunkt. Er ist davon überzeugt, dass es nicht unbedingt etwas nützt, irgendwo gewesen zu sein. Man kann, so Steinfest, in China gewesen sein, und doch nichts vom Land mitbekommen oder gar verstanden haben. Wichtig ist es, die Orte im eigenen Kopf entstehen zu lassen, um sie mit Leben füllen zu können. Ein gewisses Basiswissen ist dabei zwar nötig, aber so was lässt sich auch anlesen. Steinfest erweckte auch den Eindruck, er könne mit der Haltung nicht weniger Autoren, man müsse alles aus eigener Erfahrung kennen, nicht sympathisieren. Die Figuren sollte man, so Steinfest, nicht nur mit dem eigenen Wissen ausstatten.
Mit John Irving, der im Gegensatz zu Steinfest seine Romane durchplant und vom Ende her entwickelt, gab es aber in einem Punkt eine sympathische Gemeinsamkeit. Genau wie Irving schreibt Steinfest keine Idee mehr auf, die ihn über Nacht durch den Kopf geht.
Wenn eine Idee gut ist, kommt sie wieder zurück.
Für angehende Autoren gab es auch ein paar gute Tipps. Er habe nie einer dieser Schreibwerkstätten besucht, auch weil es sie damals noch nicht gab. Er hat sich dem Handwerk des Schreibens als Leser genähert. Einen Königsweg gibt es nicht, so Steinfest, denn es könnte durchaus sein, dass die festen Regeln (des kreativen Schreibens) für einige ein Gerüst sein können, welches ihnen helfe. Sein Gerüst sei jedoch die Literatur, die er gelesen habe.
Der entscheidende Moment ist, einen eigene Stil zu entwickeln.
Für ihn gehört das Kennen der Regeln zum Handwerk, aber genauso gehört es auch dazu, sie bewusst zu durchbrechen. Brüche sollten aber in sich stimmig sein.
Zum Schluss gestand Heinrich Steinfest seine Kämpfe, die er regelmäßig mit dem Ende einer Geschichte austrägt. Es gäbe bestimmt irgendwo in Norddeutschland einen Verein der Steinfest-Enden-Geschädigten. An dem Punkt kann man allerdings anfügen, dass dies Folge seiner Vorgehensweise ist.
Die anderthalb Stunden des sogenannten Werkstattgespräches waren kurzweilig und regen an, noch mal über die eigene Arbeitsweise nachzudenken. In Bezug auf die Bedeutung der Figuren bin ich für meinen Teil auf jeden Fall ganz bei Steinfest. Auch seiner Aussage, ihn würde vornehmlich das interessieren, was ein Mordfall aus den Figuren macht, kann ich zustimmen – genau das ist es auch, was mich antreibt bei meinen Geschichten. Für die bevorstehende Überarbeitung meines letzten NaNoWriMo-Romans ist die Veranstaltung eine Kerze, die mich dann hoffentlich in dunklen Stunden erhellen wird. Für Steinfest macht die Überarbeitung überings 70 Prozent seiner Arbeit an einem Roman aus.
Eine Antwort