Bei Büchern, die mit irgendwas ausgezeichnet wurden, bin ich immer besonders skeptisch. In der Vergangenheit war es nicht selten so, dass mir persönlich das Buch trotzdem nicht gefallen hat. Es kommt, wie bei allen Dingen im Leben auf den eigenen Geschmack an – und in den Feuilleton-Redaktionen sitzen mitunter Menschen mit einem sehr eigenwilligen Geschmack.
Beim Krimi von Mechtild Borrmann „Wer das Schweigen bricht“ war ich entsprechen skeptisch. Hinzu kam auch noch, dass das Buch wie ein Lokalkrimi daher kommt. Um die Spannung vorweg zu nehmen: Das Buch ist wirklich ein großer Wurf, so wie es Jochen König von der krimi-couch meint.
Kurz zur Handlung. Im Nachlass seines Vaters findet Robert Lubisch das Foto einer jungen Frau und den Pass eines SS-Mannes. Diesen Pass hatte er früher schon mal bei seinem Vater gesehen. Damals hat der ihm die Geschichte seiner Flucht erzählt und gesagt, er hätte den Pass einem toten Soldaten abgenommen. Das Foto aus der Zeit kommt Robert Lubisch aber nicht bekannt vor. Getrieben von der Frage, wer diese Frau gewesen was, macht er sich auf die Suche nach den Spuren der Vergangenheit. Dabei stößt er etwas an, was zum Tod eines Menschen führt und eine Wahrheit ans Licht bringt, die führ Lubitsch schmerzhaft sein wird. Die Handlung verläuft dabei auf zwei zeitlichen Ebenen. In der Gegenwart, d.h. Ende 1997 bis Frühjahr 1998 und in der Zeit des Nationalsozialismus, der im Buch auch eine Rolle spielt. Mechtild Borrmann gelingt es dabei, den geschichtlichen Hintergrund nicht als bloße Kulisse zu benutzen, sondern füllt die Zeit mit ihren Figuren so aus, dass man das Gefühl haut, hautnah dabei zu sein. In dem Zusammenhang sehr löblich ist das Personenverzeichnis am Anfang, ohne das man doch etwas die Übersicht verlieren würde.
Die ersten Sätze im Buch wirkten auf mich wenig gelungen.
Wie still. War es hier immer so still gewesen? Robert Lubitsch stand am Fenster und sah hinaus in den Garten.
Das es das genaue Gegenteil eines Narrativen Hakens. Ich verspürte wenig Lust, weiter zu lesen, tat es aber dennoch. Nicht nur, um den Buch noch eine Chance zu geben, sondern auch, weil ich es geschenkt bekommen hatte und garantiert gefragt werden würde. Die Sätze plätscherten weiter vor sich hin. Dann, über eine Seite später kam der eine Satz, der mich richtig packte und nicht wieder los ließ. Um seine Bedeutung zu spüren, muss man wissen, das Robert Lubisch sehr zur Enttäuschung seines Vaters nicht die Firma übernommen hat, sonder Arzt geworden ist. Lubitsch ist davon überzeugt, dass er nie den Ansprüchen seines Vaters genügt hat. Jetzt ist der Vater gestorben und Lubitsch löst den Haushalt auf, verkauft das Haus. Er muss sich nicht mehr auf die Aufmerksamkeit und die Anerkennung seines Vaters bemühen.
Aber eben auch, und das war der Schmerz, dass er jetzt für immer ungenügend blieben würde.
Den Satz habe mehrmals gelesen. Und auch jetzt, wo ich ihn erneut lese, hat er nichts von seiner Wirkung eingebüsst. Für mich markiert er auch die Stelle in Buch, wo der Text Fahrt aufnimmt. Man schafft es gerade noch an Bord und bleibt bis zum Ende gefangen in einer Geschichte, die noch lange nachhallt.
Es ist wirklich ein erstaunliches Buch, mit Figuren, die über Tiefe besitzen. Zwar gibt es durchaus Nebenfiguren, die an der Oberfläche bleiben, aber sie erfüllen zum vorantreiben der Handlung ihren Zweck.
Fazit: Unbedingt lesen. Der Krimi spielt zwar am Niederrhein, aber ist bei weitem nicht das, was man nicht ohne Grund abwertend Lokalkrimi nennt.