Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Auf halber Strecke kam ihm der Koffer entgegen. Solche Höflichkeiten wusste er zu schätzen, auch wenn er jetzt erstmal vor dem Kleiderschrank lag und nach Luft schnappte. In der Küche gab der Eierkocher seine Wehklagen zum besten.

Ein Vorteil des späteren Aufstehens war es, dass man nicht im Dunklen zum Sicherungskasten tappen musste. Er hätte das alte Ding schon längst wegschmeißen sollen. Aus ihm unerklärlichen Gründen hing er noch daran. Nein, dachte er, das war nicht die Wahrheit. Er wusste ganz genau, warum er den Eierkocher nicht schon längst entsorgt hatte. Es war das Einzige, was ihn noch an seinen Ex-Freund erinnerte. Der hatte das Gerät mit den Worten „Ich such mir jetzt wieder was ohne Eier“ zurückgelassen. So ein Arsch. Aber geil was der betreffende Körperteil schon gewesen. Er riss sich zusammen. Der Koffer lag noch immer auf ihm. Bedingt durch das geringe Gewicht des Gepäckstücks hätte er zwar noch stundenlang so liegen bleiben können. Die vom Fußboden herauf kriechende Kälte würde jedoch unweigerlich zu einer Erkältung führen. Oder schlimmeres. Er könnte sich den Tod holen. War das wirklich so schlimm? In seiner Familie gab es für so was wenig Verständnis. Die noch lebenden Angehörigen würden sich auf dem Friedhof über sein Grab beugen und ihn auslachen. Schuld daran war seine Mutter. Sie hatte die Familientradition der bizarren Tode und Selbstmorde posthum eingeführt, als sie sich, in Ermangelung eines Föns, mit einem Waffeleisen in der Badewanne umbrachte. Ganz unschuldig an ihrem Entschluss, aus dem Leben zu treten, war er jedoch nicht. Wenige Stunden zu vor hatte er ihr seine Vorliebe fürs männliche Geschlecht gestanden. Das er anders war als die Jungen in seiner Klasse, war ihm auf der Abschlussfahrt bewusst geworden.

Der Koffer drückte weiter auf seine Brust. Ein Missliche Lage. Sein Leben zog nicht an ihm vorbei, dennoch erinnerte sich an die Abschlussfahrt, als wäre sie erst gestern gewesen. Elvira. Seine Jugendliebe, sein Schwarm. Er war viel zu schüchtern gewesen um sie anzusprechen. Hatte sich in der Klasse immer eine Reihe hinter sie gesetzt, damit er sie beobachten konnte. Dann kam die Fahrt. Der letzte Tag vor der Abreise. Der Sommer bäumte sich noch mal vor seinem Ende auf, die Temperaturen klettern auf 26 Grad. Badewetter. Noch vor dem Mittagessen war es so viel zu heiß in der Herberge. Die Schüler stürmten zum See, drängten sich in die kleinen Holzhäuschen zum Umziehen. Jedes bot nur für einen Platz. Elvira nahm ausgerechnet das mit dem Astloch auf der Rückseite. Seine Chance, die er gedacht auszunutzen. Während die anderen Jungen und Mädchen sich in Windeseile umzogen, ließ sie sich Zeit. Viel Zeit. Er schaute durchs Astloch. Sah ihren Badeanzug auf der Holzbank liegen. Sein Puls beschleunigte sich, als sie sich auszog. Erst das T-Shirt.

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