Die Zeitungen sind voll damit, auch an anderer Stelle liest, sieht oder hört man es. Gestern vor 50 Jahren wurde die Berliner Mauer gebaut. Davon über geblieben sind nur noch Trümmer. Mit dem Fall der Innerdeutschen Grenzen ist die alte BRD größer geworden, die DDR verschwunden.
Noch immer nicht verschwunden ist aber die Mauer in unseren Köpfen. Die Erinnerung an das was war, vor allem aber das nicht verstehen können – oder auch wollen. Als Autor merkt man die Mauer entlang der Sprache. Begriffe und Wörter von „drüben“, die einem fremd sind, auf die man keinen Zugriff hat. Für einen Krimi-Wettbewerb der TU-Chemnitz schreibe ich gerade an einem Texte. Bedingung des Wettbewerbs ist, dass der Krimi in Chemnitz (vorher Karl-Marx-Stadt, davor Chemnitz…) spielt. Meine Hauptfigur ist eine Ostdeutsche, Mitte fünfzig, Anfang sechzig. Sie hat ihr gesamtes Leben in Chemnitz verbracht, kennt entsprechend Dinge, die mir als Autor selber unbekannt sind.
Natürlich hätte ich auch einfach einen „Wessi“ nach Chemnitz reisen lassen, der dann Mörder, Opfer oder Detektiv wird. Reizvoll fand ich das nicht. Die Idee für die Figur selber, für das, was tun wird, hatte ich schon länger. Für den Handlungsort reicht es meiner Meinung nach nicht aus, nur ein paar Straßen und Plätze zu erwähnen; etwas was ich selber an vielen Lokalkrimis immer kritisiert habe. Die Handlung muss in die Stadt passen, muss ein Teil dessen sein, was dort (vielleicht auch nur dort) passieren kann.
Ortskundig kann man sich auf unterschiedliche Art und Weise machen. Aber Chemnitz ist nicht Köln, Bielefeld oder Düsseldorf. Wenn ich zum Beispiel im Text die Aufmerksamkeit des Lesers auf ein Motorrad aus den 70er oder 80er Jahren richte, dann tauchen bei mir unweigerlich sofort Fragen auf. Gab es in der DDR überhaupt Motorräder? Da ist sie, die Mauer im Kopf. Ich kann nicht sehen, was dahinter ist. Durch viel Recherche lässt sich meine Frage beantworten. Ich weiss, wann welche Modell hergestellt wurden, wie sie von den Menschen bezeichnet wurden. Trotz des ganzen Wissens, was sich aneignet lässt, beleibt ein scher zu definierendes Gefühl zurück. Gelingt es, glaubwürdig zu schreiben? Und vor allem: kann man Dinge wie Republikflucht des Bruders meiner Hauptfigur erwähnen? Will das noch jemand lesen? Diesen Hintergrund finde ich persönlich interessant, denn wenn ich richtig liege, hatte so was auch für die Angehörigen Konsequenzen – was im Fall meiner Hauptfigur dazu führte, dass sie nicht mehr studieren durfte. Es ist nur ein kleines Detail in der Geschichte, hat aber Auswirkung auf das Leben der Figur, die dadurch zu dem wurde, was sie jetzt ist.
2 Kommentare
Möglichkeiten der Recherche gibt es viele, das ist richtig, wenn Du aber in den Schlag Menschen eintauchen und wissen willst wie sie denken, bleibt Dir nichts anderes übrig, als nach Chemnitz zu reisen. Ansonsten könnte es unauthentisch wirken. Es haben sich viele Autoren aus dem „Westen“ daran versucht, den DDR-Alltag zu beschreiben; es wirkt meist aufgesetzt und klischeebehaftet. Wenn man ihn nicht erlebt hat, fehlen einem die vielen feinen Nuancen, an die man sich als „Ossi“ erinnert.
Ich wäre auch einer Vor-Ort Recherche nicht abgeneigt, aber die Fahrtzeit von über 6 Stunden einfach Strecke war dann doch etwas heftig. Vor allem hätte es nichts gebracht, wenn man authentisch den Alltag beschreiben will. Ich denke, ich habe aber einen Testleser, der beurteilen kann, ob ich mit beiden Füßen in das Klischee-Näpfchen getreten bin.