Von allen guten und bösen Geistern verlassen

Fangen wir mit einer groben Vereinfachung an. Ein Roman ist in erster Linie fiktionale Literatur. Alles, was uns der Autor direkt oder indirekt mitteilt, kann frei erfunden sein. Die Betonung liegt dabei auf kann.

Allerdings hat das freie erfinden auch Grenzen, die je nach Genre mal enger mal weiter gesteckt werden. Ein im hier und jetzt spielender Krimi, bei dem irgendwann reale Drachen und Elfen auftauchen, würde arges Verwundern beim Leser hervorrufen, welches schnell in Ärger umschlagen kann. Anders sieht es aus, wenn es ein Krimi ist, der (als Fanfiktion) in der Welt von Mittelerde angesiedelt ist. Wobei auch da gewisse Regeln einzuhalten sind. Es dürfte dann nicht Elfen, sondern müssten Elben sein.

Der Leser kann zu recht vom Autor erwarten, dass dieser seine Hausaufgaben gemacht hat uns sich in der Materie auskennt. Das muss jedoch nicht soweit gehen, dass der Autor alles selber erlebt hat. Nicht nur, weil unsere Literatur um einiges ärmer wäre, wenn nur Erlebtes Romanstoff sein dürfte, sonder auch, weil es in Bestimmten Bereich nicht möglich ist. Dabei muss man nicht mal Science Fiction oder Historische Themen betrachten. So könnte zum Beispiel niemand aus der Sicht eines Toten schreiben.

Kommen wir aber wieder zurück zu den Hausaufgaben. Es reicht, wenn dass, was beschrieben wird, vorstellbar ist. Wiederum ist das, was vorstellbar ist, abhängig vom Genre. Genau da liegt dann die Arbeit eines Autors. Er muss sich mit dem, über das er schreibt, auseinander gesetzt habe, muss so recherchiert haben, dass er glaubwürdig schreiben kann.

Bei einem Krimi gehört es selbstverständlich dazu, dass ich mich mit der Polizeiarbeit auseinander gesetzt habe. Mir als Autor dürfen keine groben Fehler unterlaufen, die selbst einem Laien auffallen würden (Durchsuchungsbefehl statt Durchsuchungsbeschluss, zum Beispiel). Dafür gibt es auch einen guten Grund, den ein Autor berücksichtigen sollte. Über grobe Fehler stolpert der Leser und wird aus dem so genannten ‚Fiktionalen Traum‘ herauskatapultiert. Die Handlung strauchelt, das Buch wird zur Seite gelegt, der Leser ist verärgert.

Schließen wir mit einem Beispiel, das ich für meinen Serienmörder erarbeitet habe (auch wenn es so in der Geschichte nicht vorkommt, muss ich als Autor wissen, wie es passieren könnte).
Der Mörder hat eine Strategie, mit der er sich seinen Opfer nähern kann, ohne diese sofort argwöhnisch zu machen. Diese Strategie beinhaltet auch, dass er die Frauen dazu bringt, ihm einen Vorteil zu gewähren, der es ihm leichter macht, sie zu Boden zu reissen.
Wenn er sich sicher wähnt, schließt er zu seinem Opfer auf und hält ihm im Halbdunkeln ein Damenportemonnaie entgegen: „Entschuldigung, haben sie das gerade verloren?“ Noch bevor sein gegenüber antworten kann, lässt er das Portemonnaie ‚versehentlich‘ fallen. Die Reaktion, die er dadurch provoziert: die Frau bückt sich nach dem Portemonnaie. Wer sich bückt, ist wesentlich einfach umzustoßen und zu überwältigen.

Dieses Vorgehen ist vorstellbar. Es muss nicht realistisch sein. Je nach Genre hat ein Autor viel oder wenig Hausaufgaben zu erledigen, bevor er sich ans Schreiben machen kann. Bei einem historischen Roman ist es denkbar viel, was man berücksichtigen muss, manchmal ist die Recherche auch nicht einfach. Dagegen ist es wesentlich leichter, wenn man einen Roman in der Gegenwart ansiedelt und es ‚lediglich‘ um ein Dreiecksgeschichte, ganz ohne Mord, geht. Hier liegt dann aber die Kunst darin, den Stoff so zu erzählen, dass er trotz der Thematik spannend zu lesen ist oder aber der Text durch gelungen Formulierungen brilliert.

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