„Doktor Plötzlich bitte in den Op, Doktor Plötzlich bitte!“ Als er in den Raum trat, merkte er den Schnitt tief in sein Fleisch kaum, so scharf war das Messer. Trotz seiner vielen Jahre Berufserfahrung wunderte er sich darüber, dass ein Mensch so viel Blut verlieren konnte.
Ein etwas dramatisch Einstieg, zugegeben. Mir war aber danach. „Engpass“ von Gabriele Diechler habe ich heute auf der Rückfahrt endlich ausgelesen. Wie schon in den zwei Blog-Einträge vorher angedeutet, hat das Buch sämtliche Erwartungen untertroffen. Die Krönung war zum Ende hin dann folgendes (Achtung, Spoiler!):
„Sie müssen in der Maihauser-Villa nach einem blauen Kissen oder Ähnliches Ausschau halten, Ben. Nach dem Utensil, dessen Fäden Michael Horn in Aurelia Bramlitz‘ Lunge gefunden hat. Auf einen Durchsuchungsbefehl können wir nicht warten. Das wäre grob fahrlässig.[…]“
Wer sich nur ansatzweise auskennt, wird erkennen, was wirklich grob fahrlässig ist. Wer nicht mal die grundlegenden Begriffe kennt, sollte als Autor(in) einen großen Bogen um Krimis machen. Es gibt keinen Durchsuchungsbefehl, sondern nur einen Durchsuchungsbeschluss. Nachzulesen unter anderem auf der Webseite von Marcus Winter (der nicht nur Autor, sondern auch Kriminalbeamter ist). Frau Diechler, wussten Sie, das man auch recherchieren kann? Zudem bin ich mir ziemlich sicher, dass das „Utensil“, wenn es denn gefunden worden wäre, vor Gericht nicht hätte verwendet werden dürfen.
So. Genug gemeckert. Kommen wir noch mal zu Doktor Plötzlich zurück. Nach dem ich gestern so über die Verwendung von ‚plötzlich‘ hergezogen hatte, musste ich in der Nacht noch mal darüber nachdenken (nicht das jetzt jemand meint, es hätte mir eine schlaflose Nacht bereitet). Kritik ist in allen Ehren, aber man sollte dann auch zeigen, wie es besser gehen könnte.
Nehmen wir uns eine der Stellen noch mal vor, die ich gestern zitiert hatte:
„Plötzlich fällt ihr ein, dass sie längst Degenwald hätte anrufen können.“
Wie würde sich das jetzt anders schreiben lassen?
Ein nicht unwichtiges Detail taucht wieder in ihrem Bewusstsein auf. Sie hätte längst Degenwald anrufen können.
Oder etwas knapper;
Bisher hatte sie nicht daran gedacht, dass sie längst Degenwald hätte anrufen können.
Die Verwendung von ‚plötzlich‘ ist wirklich nicht nötig. Nach dem Ausflug in die Alpen habe ich mir vorgenommen, direkt mal dort zu bleiben mit Nicola Förg und „Mord im Bergwald“. Mal sehen, wie der Krimi ist.
7 Kommentare
Ich verstehe Deinen Zorn auf diesen Roman nur zu gut. Trotzdem würde ich das Wort „plötzlich“ nicht ganz so hart beurteilen. Es kommt auf die Erzählperspektive an. Wenn ein Ich-Erzähler „plötzlich“ sagt, dann wissen wir als Leser, dass er es nicht hat kommen sehen. Das ist nun mal so im wahren Leben, manches kommt ganz plötzlich – zum Beispiel die Erinnerung daran, dass wir etwas Bestimmtes tun sollten. Daher finde ich Dein Beispiel nicht ganz überzeugend. Die anderen Beispiele aus Deinem Beitrag „Potz Plötzlich“ finde ich viel schlimmer.
Aber es stimmt, „plötzlich“ zeigt, dass der Autor sich nicht genug Mühe gegeben hat ;-)
Wenn es sich um die Ich-Perspektive handeln würde oder auch um Dialoge, hast du recht. Dann wäre ein ‚plötzlich‘ vertretbar. Wobei dann auf so engem Raum wie in dem Beispiel die Frage aufkommen würde, ob der es Auto/Autorin an sprachlichen Alternativen mangelt. Noch gravierender sind aber die anderen Fehler (siehe Blogeintrag von gestern).
Du analysierst diesen Kriminalroman mit chirurgischer Präzision, einfach köstlich. Als Leser kann ich erwarten, dass sich die Autorin über grundlegende Fachbegriffe der Kriminalistik informiert. Das gehört schließlich zu ihrem Handwerkszeug, ebenso wie ein guter Schreibstil.
Genau so sehe ich das auch. Wer schlecht oder nicht recherchiert, sollte das mit den Krimis einfach sein lassen.
Die Frage, die sich hier stellt: Warum schützt uns kein Lektor vor solchen Büchern?
Ich habe mir mal die Kurzbeschreibung des Verlages angesehen:
„Nachdem sie ihren Mann mit einer anderen erwischt hat, verlässt die Kriminalpsychologin Elsa Wegener Hals über Kopf Köln, um im bayerischen Unterwössen beruflich wie privat neu anzufangen. In dem idyllischen Dorf nahe des Chiemsees wird sie nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Und auch Anna, Elsas pubertierende Tochter, ist von ihrer neuen Heimat alles andere als begeistert. Doch Elsa bleibt kaum Zeit, über solche Probleme nachzudenken. Als die Leiche einer zwanzig Jahre lang vermissten Frau entdeckt wird, hat sie der Arbeitsalltag längst eingeholt …“
Anscheinend kein Klischee ausgelassen.
In der Tat stehen da so viele Klischee-Töpfe, dass man nichts anderes mehr sieht.
Das ist ein klassischer Fall von „das kann ich besser“. Solche Bücher sind eine wahre Fundgrube an Fallstricken und Fettnäpfchen.
Allerdings habe ich mal eine Buchhändlerin damit verblüfft, dass ich sie nach einem schlecht geschriebenen Buch fragte… :-)